Süddeutsche Zeitung

Bürgerschaftswahl in Hamburg:FDP verliert nach Auszählungspanne Stimmen

Lesezeit: 3 min

Von Christian Endt und Ralf Wiegand

Es war genau 23.14 Uhr, als auf der Internetseite des Statistischen Landesamtes Nord die Ziffer hinterm Komma umsprang: Gerade stand da, wie fest zementiert, die 4,9 - und nun die 5,0. Fünf Prozent, das war von der ersten Prognose an die magische Zahl für die FDP bei dieser Bürgerschaftswahl in Hamburg, es werde "eine lange Nacht, betrinkt euch nicht ohne mich", hatte die Spitzenkandidatin Anna von Treuenfels-Frowein den Liberalen bei der Party in einem Brauhaus zugerufen, ehe sie in Medienzentrum verschwand für einen Abend im Konjunktiv. Was wäre, wenn die FDP drin ist, was, wenn sie rausfliegt?

Die wartenden Wahlkämpferinnen übten sich mit jeder Aktualisierung des Wahlergebnisses auf der Internetseite des Statistischen Amts für Hamburg und Schleswig-Holstein aufs Neue im Dreisatz: 3,9 Millionen Stimmen sind 100 Prozent, wie viel sind dann 196 620? Heraus kam immer irgendwas mit 4,99 Prozent, die Smartphone-Taschenrechner glühten. Und dann, endlich, die 5. Nur 120 Stimmen, angesichts von fünf Stimmen pro Wählendem also womöglich nur 24 Wähler, gaben den Ausschlag für den erneuten Einzug der Hamburger FDP in die Bürgerschaft. Besser: für den vermeintlichen Einzug.

Kurz vor Mitternacht, als endlich alle Stimmbezirke ausgezählt waren, entlud sich bei den verbliebenen Gästen der FDP-Feier die Freude wie in einem Fußballstadion nach einem Tor in der Verlängerung. Dass es sich um eine vorläufige Auszählung handelte, die noch einmal überprüft werden würde, für so viel Rationalität war in diesem Moment keine Luft mehr im Raum. Während feiernde Liberale einander die Arme um die Schultern legten und sangen, wisperten hinten im Raum die ersten schon, dass da womöglich etwas nicht stimme. In einem oder mehreren Wahlkreisen könnten bei der Meldung an den Wahlleiter Stimmen vertauscht worden sein, die Grünen seien da verdächtig niedrig, die FDP außerordentlich hoch gezählt. Ein Hamburger Twitter-User hatte auf eine Unstimmigkeit im Langenhorner Stimmbezirk 43202 hingewiesen. Das Wahlergebnis enthalte vielleicht einen Fehler zugunsten der FDP - und das bei einem engen Rennen, dass eigentlich keinen Raum für Fehlertoleranzen lässt. Ein echter Party-Crasher.

An diesem Montag nun ging das Warten für die Elb-FDP tatsächlich wieder von vorne los. Wahlrecht.de und die SZ überprüften die Zahlen, der Verdacht erhärtete sich. Schließlich bestätigte Bezirkswahlleiter Tom Oelrichs gegenüber der SZ den Fehler. Durch dessen Korrektur könnte die Partei im Laufe des Montags wieder unter die Fünf-Prozent-Hürde fallen. Der Landeswahlleiter will sich zu den Pannen - in Langenhorn war das hoch zweistellige Ergebnis der Grünen der FDP zugerechnet worden - nach der Nachzählung aller Stimmen äußern.

Oelrichs, Wahlleiter im Bezirk Hamburg-Nord, sagte der Süddeutschen Zeitung, die Zahlen würden aus den einzelnen Wahllokalen telefonisch an die Bezirksämter durchgegeben und dort in die Datenbank des Landeswahlleiters eingespeist. Der Fehler sei beim Notieren der Zahlen am Telefon entstanden. Oelrich spricht von einem Versehen, es gebe keine Hinweise auf den Versuch einer Wahlfälschung. Da am Montag alle Stimmzettel nochmals ausgezählt werden, wäre der Fehler ohnehin bemerkt worden.

Demnach sind beim Übertragen des Ergebnisses in die Datenbank des Landeswahlleiters die Stimmen von FDP und Grünen vertauscht worden. Im Bezirk 43202 wird die FDP mit 549 Stimmen ausgewiesen, das sind 22,4 Prozent. Den Grünen werden 126 Stimmen zugerechnet, also 5,1 Prozent. Das ist auffällig, denn landesweit sind die Kräfteverhältnisse in etwa umgekehrt: Grüne 24,2 Prozent, FDP 5,0 Prozent. In dem Stimmbezirk hatte die FDP bei der letzten Bürgerschaftswahl 4,9 Prozent erhalten.

Für die FDP geht die Wahl im Konjunktiv weiter, in Hamburg könnten auch in anderen Wahllokalen noch Zahlendreher passiert sein, vielleicht gleicht sie da noch irgendwas aus. Es ist eine vage Hoffnung der FDP, die zwischen Sieg und Niederlage, zwischen drin und draußen, hängt.

Davon, was am Ende steht, die 5,0 oder die 4,9, wird auch sehr entscheidend die Bewertung der politischen Lage abhängen. Als es so schien, als seien die Hamburger Liberalen rausgeflogen, schimpften sie bei der Hamburger Party sehr vernehmbar auf die Kollegen in Thüringen, im Bund, und auf die Grünen, die die Kemmerich-Wahl in Erfurt "instrumentalisiert" hätten, wie die Landesvorsitzende Katja Suding klagte. Erst, nachdem die 5,0 gefeiert war, hieß es wieder "wir haben das geschafft" statt "die haben es verbockt". Was am Ende gilt? Die Nachzählung läuft.

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