Süddeutsche Zeitung

Hagia Sophia:Futter für die Fundis

Für ein paar Wähler mehr opfert Erdoğan das Erbe der Republik.

Von Christiane Schlötzer

Bislang hat Recep Tayyip Erdoğans Partei ihren Wählern irdische Dinge versprochen, einen Großflughafen oder eine Autobahn. Nun verheißt sie ihnen das Paradies, wenn sie am Sonntag die Präsidentenpartei AKP wählen. Sie hätten "den Schlüssel zum Himmel in der Tasche", wirbt ein Kommunalpolitiker im besonders konservativen Şanlıurfa um Stimmen. Noch bei keiner Wahl seit ihrem ersten Erdrutschsieg vor 17 Jahren hat die AKP so offen an die religiösen Gefühle ihrer Wähler appelliert. Wer für die Opposition stimmt, wird zum Sünder erklärt.

Jetzt zeigt sich Erdoğan bereit, für den Stimmenfang sogar ein Symbol der säkularen Republik zu schleifen. Er schließt nicht mehr aus, die Hagia Sophia wieder in eine Moschee zu verwandeln. Damit wirbt der Präsident um Unterstützung von Ultranationalisten und Islamisten, und er zeigt, wie nervös seine Partei vor den wichtigen Wahlen ist.

Der türkische Historiker İlber Ortaylı hat gesagt, die Türkei sollte stolz sein auf die Umwandlung der Hagia Sophia in ein Museum, weil sie damit Respekt vor fremder Kultur zeige. Diesen Respekt riskiert Erdoğan nun für ein paar Stimmen. Wahrscheinlich wird er es nach der Wahl nicht wagen, das Weltkulturerbe Hagia Sophia anzutasten. Aber er hat die Scharfmacher geadelt. Er wird sie nicht mehr loswerden.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4381938
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 26.03.2019
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.