Süddeutsche Zeitung

Chemnitz-Haftbefehl im Netz:Eine Reihe von Verdächtigen in Sachsen

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Von Jens Schneider, Berlin

Es ist ein Daten-Leak, das für die Sicherheitsbehörden im Land Sachsen äußerst peinlich ist. Am Mittwochabend verbreiteten im Internet rechte Kreise ein Foto des Haftbefehls, der gegen einen der tatverdächtigen Männer in Chemnitz erlassen wurde. Gegen ihn wird nach dem Tod eines 35-Jährigen beim Chemnitzer Stadtfest wegen Totschlags ermittelt. Verbreitet wurde das Dokument von rechten Gruppierungen. Laut Angaben der Staatsanwaltschaft sind ein junger Syrer und ein junger Iraker in Haft. Die genauen Hintergründe der Tat sind noch ungeklärt. Am Montag kam es bei einem Marsch von etwa 6000 Demonstranten, darunter viele Rechtsextreme und Hooligans, zu Ausschreitungen.

Den Haftbefehl des Chemnitzer Amtsgerichts soll nun ausgerechnet Lutz Bachmann, der Kopf der fremdenfeindlichen Dresdner Pegida-Bewegung verbreitet haben. Er rühmte sich schon häufiger besonderer Kontakte zur Polizei. Auch die rechtspopulistische Organisation Pro Chemnitz und ein AfD-Kreisverband stellten laut Tagesschau.de den mutmaßlichen Haftbefehl ins Netz. Zu lesen waren darin Details wie der volle Name des Opfers und des Verdächtigen, auch Angaben zum Tathergang.

Die Weitergabe eines solchen Dokuments ist ebenso strafbar wie die Veröffentlichung. Allerdings dürfte es äußerst schwierig sein, zu ermitteln, wer die Akte weitergegeben hat - der Kreis der möglichen Verdächtigen ist zu groß, und er geht weit über die Polizei und die Staatsanwaltschaft hinaus.

Die sächsische Landesregierung in Dresden und die Polizei haben schnell reagiert. Noch am Abend verbreitete die Polizei Sachsen eine Meldung: "Diese Veröffentlichung stellt eine Straftat dar", schrieb sie. Es sei bereits ein Ermittlungsverfahren wegen der Verletzung von Dienstgeheimnissen gemäß Paragraf 353 b des Strafgesetzbuchs eingeleitet worden. "Dem Tatverdächtigen drohen bis zu fünf Jahre Haft."

Jedoch ist es nach allen Erfahrungen aus ähnlichen Fällen höchst unwahrscheinlich, dass die Verantwortlichen gefunden werden. Denn mehrere Dutzend Personen kommen bei so einem Verfahren schon früh an einen Haftbefehl. Die Kette reicht vom Staatsanwalt und seinen Mitarbeitern über den Haftrichter und dessen Umfeld und die Polizei bis hin zur Justizvollzugsanstalt, in der ein Verdächtiger in Untersuchungshaft kommt. Also kann ein großer Kreis von Mitarbeitern verschiedener Behörden eine kurze Gelegenheit nutzen, um mit dem Smartphone ein schnelles Foto vom Haftbefehl zu machen. Das Risiko, da erwischt zu werden, sei nicht so wahnsinnig groß, heißt es aus Justizkreisen.

Strafbar ist aber auch die öffentliche Verbreitung, und hier könnte man die Verantwortlichen eher finden. Der sächsische Generalstaatsanwalt hat die Staatsanwaltschaft Dresden mit dem ganzen Verfahren betraut. Dort will man zunächst die Akten einsehen. Ein Sprecher der Dresdner Staatsanwaltschaft verweist auf die Strafbarkeit der Veröffentlichung. Sie kann laut Paragraph 353d des Strafgesetzbuchs mit einer Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder einer Geldstrafe geahndet werden.

Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) sicherte am Mittwochmorgen Aufklärung zu. Sachsens stellvertretender Ministerpräsident Martin Dulig (SPD) sprach von einem "ungeheuerlichen Vorgang". Er sagte dem Mitteldeutschen Rundfunk MDR: "Da haben wir ein dickeres Problem aufzuarbeiten." Die Linke im sächsischen Landtag forderte eine Sondersitzung des Verfassungs- und Rechtsausschusses im Parlament.

Der sächsische Justizminister Sebastian Gemkow (CDU) nannte es gegenüber dem MDR "extrem verantwortungslos, diese Informationen nach draußen zu geben". Wenn Zeugennamen offen gelegt würden, dann bestehe die Gefahr der Einflussnahme "und das wäre für das Verfahren eine Katastrophe".

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