Süddeutsche Zeitung

Sexualisierte Gewalt:Grüne wollen Missbrauch in der Seelsorge strafbar machen

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Auf ihrem Bundesparteitag werden Delegierte einen neuen Paragrafen im Strafgesetzbuch vorschlagen. Für Priester und geistliche Begleiter soll gelten, was für Ärzte und Therapeuten gilt.

Von Annette Zoch, München

Sexualisierte Gewalt in der Kirche kann ihren Anfang häufig im Kontext von Beichte und Seelsorge nehmen. Das lässt sich zahlreichen Missbrauchsstudien entnehmen. Ähnlich wie im Verhältnis zwischen Arzt und Patient oder Therapeut und Patient herrscht zwischen dem Seelsorger und den Gläubigen ein institutionelles Machtgefälle. Ein Arzt oder Therapeut, der Patienten gegenüber übergriffig wird, macht sich laut Paragraf 174c Strafgesetzbuch strafbar. Seelsorge-Beziehungen sind dort aber noch nicht erfasst.

Darauf haben auch schon die deutschen katholischen Bischöfe in ihrem im März 2022 veröffentlichten Text "In der Seelsorge schlägt das Herz der Kirche" hingewiesen und festgehalten, dass sexuelle Übergriffe im Rahmen der Seelsorge bei Staatsanwaltschaften und innerkirchlichen Stellen angezeigt werden müssten. Allein: Ein Bischofswort ist noch kein Gesetz.

Beim Bundesparteitag der Grünen an diesem Wochenende wollen sich deshalb mehrere Delegierte dafür einsetzen, dass auch Missbrauch in religiösen und weltanschaulichen Institutionen in den Paragraf 174c des Strafgesetzbuches aufgenommen wird. Einen entsprechenden Antrag haben die Bundesarbeitsgemeinschaften der Christinnen und Christen, der Säkularen und der Frauen gemeinsam formuliert.

"Das angemessene Maß zwischen Nähe und Distanz"

Man erkenne die bislang geleisteten Bemühungen für Prävention und Aufarbeitung an, schreiben die drei Gruppen. "Wir betrachten allerdings mit Sorge, dass es bisher beiden großen Kirchen nicht gelungen ist, sexualisierte Gewalt vollständig aufzuarbeiten und Betroffene auf allen Ebenen einzubeziehen. Auch sorgt uns, dass viele andere Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften mit dieser Aufarbeitung noch nicht einmal begonnen haben."

"Menschen, die in der haupt- oder ehrenamtlichen 'Seelsorge', gleich welcher Religion oder Weltanschauung, tätig sind, können auf die ihnen anvertrauten Personen einen erheblichen Einfluss ausüben", sagt Erdmute Scheufele, stellvertretende Sprecherin der BAG Christ*innen bei den Grünen. "Die institutionelle seelsorgerliche Beziehung muss genau wie Therapie- oder Beratungsverhältnisse stets auf das angemessene Maß zwischen Nähe und Distanz überprüfbar sein." Dabei helfe eine gesetzliche Klarstellung.

Die Grünen-Delegierten haben sich für ihren Antrag von Betroffenenvertretern beraten lassen, darunter Sabine Otto vom Betroffenenbeirat Region Ost: "Solange es nur in einem Bischofspapier steht, dass Missbrauch im Seelsorgekontext strafbar ist, kann das noch nicht durchgesetzt werden", sagt Otto. "Es muss deshalb in Gesetzesform gegossen werden."

Außerdem fordern die Delegierten eine angemessene personelle und finanzielle Ausstattung für das Amt der Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM). Dies ist bereits im Koalitionsvertrag der Ampel festgehalten. Perspektivisch solle das Amt der UBSKM zudem der gesellschaftlichen Realität Rechnung tragen, dass Menschen jedes Alters von sexualisierter Gewalt betroffen sein können - und nicht nur im Kontext von Religionsgemeinschaften, so Scheufele: "Wir müssen uns als ganze Gesellschaft an die Nase fassen."

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