Süddeutsche Zeitung

Großbritannien und die EU:Nicht Schmuddelkind, sondern Partner

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Camerons Ideen mögen vielen Pro-Europäern nicht passen, aber es wäre fahrlässig, den britischen Vorstoß einfach abzutun. Zweifel an der Integration gibt es nicht nur auf der Insel. Man möchte schon gerne wissen, was "mehr Europa" im Einzelnen bedeutet - dazu hat der Brite legitime Fragen gestellt.

Ein Kommentar von Martin Winter, Brüssel

David Cameron hat gesprochen, aber Europa zittert nicht. Warum auch? Dem britischen Premierminister geht es in erster Linie darum, die Euro-Skeptiker in seinen eigenen Reihen ruhigzustellen. Und bis zu einer Volksabstimmung in vier bis fünf Jahren wird noch viel Wasser die Themse hinunterfließen. Wer weiß, wer dann in 10 Downing Street regiert. Selbst wenn die Briten 2017 an die Wahlurnen gerufen werden, ist es nicht ausgemacht, dass sie mit Nein stimmen. Wenn es hart auf hart geht, waren sie immer noch ein vernünftiges Volk.

Dennoch wäre es fahrlässig, den britischen Vorstoß in der EU einfach abzutun. Nachdem die Euro-Länder bereits kräftig über einen Umbau der EU nachdenken, hat Cameron nämlich durchaus verdienstvoll eine weitere Tür zu dieser Diskussion aufgestoßen. Dieser britische Eingang mag vielen Pro-Europäern nicht passen. Aber in einer Zeit, in der die Europäische Union durch eine tiefe Krise geht und mit sich selbst um ihren Sinn und um ihre Strukturen ringt, wird Camerons Beitrag weit über die Insel hinaus wirken. Denn zweifelnde Fragen hat man nicht nur dort, wenn es um den Zustand der EU geht.

Die Formel, dass mehr Europa allemal gut ist für die Europäer, verfängt seit der Krise nicht mehr. Man möchte schon gerne genau wissen, was "mehr Europa" im Einzelnen bedeutet und wer die politischen wie pekuniären Kosten dafür zu tragen hat. Die fast planwirtschaftliche Mentalität, mit der Brüssel an die Krise herangeht, weckt jedenfalls nicht gerade Vertrauen. Eine schonungslose europäische Debatte aber - und die ist ohne den britischen Beitrag nicht denkbar - könnte zu mehr Klarheit im europäischen Diskurs führen. Ob an dessen Ende eine ganz neue oder eine nur leicht reformierte EU steht, ist nicht wichtig. Wichtig ist, dass es einen Konsens über ihren weiteren Weg gibt.

Wie ein Schmuddelkind an den Rand gedrängt

Dieser schwierigen Debatte wird Europa nicht entkommen, wenn es Großbritannien wie ein Schmuddelkind an den Rand drängt. Aber es könnte einen seiner wichtigsten Partner verlieren. Der in Brüssel gelegentlich zu hörende Satz, dass die Briten Europa mehr brauchen als Europa die Briten, ist dumm und gefährlich. Denn ohne das Königreich jenseits des Kanals wird Europa global betrachtet nicht mehr sein als heute, sondern weniger.

Es liegt vor allem im deutschen wie im französischen Interesse, die Briten nicht nur nicht ziehen zu lassen, sondern sie in das Zentrum der europäischen Debatte zu bringen. Denn die Wirklichkeit der EU ist ja doch, dass die Meinungen über den richtigen Weg quer durch die Union weit auseinandergehen. Sie in eine lebensfähige Balance zu bringen, dazu könnte ein offener und fairer Dialog zwischen den deutschen und französische Integrationisten und den britischen Zweiflern beitragen. Frankreich und Deutschland auf der einen und Großbritannien auf der anderen Seite bilden die Pole des europäischen Denkens. Cameron mutet der EU viel zu. Aber er hat sich auch als Europäer bekannt. Es wäre falsch, ihm die kalte Schulter zu zeigen.

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SZ vom 24.01.2013
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