Süddeutsche Zeitung

Johnson zum Brexit:Als wäre alles gar nicht so schwierig

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In seiner ersten Rede vor dem Parlament verbreitet der neue britische Premier Boris Johnson viel Optimismus in Sachen EU-Austritt. Dabei hat er nicht mehr in der Hand als seine glücklose Vorgängerin May.

Von Thomas Kirchner

Wer Boris Johnsons ersten Auftritt als Premierminister vor dem britischen Parlament verfolgt hat, könnte meinen, der britische EU-Austritt sei gar nicht so schwierig. Mit Schwung und vor allem mit Optimismus, so die Botschaft, lasse sich das schaffen. "We are going to energize this country (wir werden das Land mit Energie aufladen)", hatte er schon vor seiner Wahl als Parole ausgegeben.

Im Parlament blieb Johnson auf dieser Linie. "Wir sollten mit größtmöglichem Optimismus an die Sache herangehen", sagte er. Und: "Jetzt ist der Moment für Kompromisse." Mehrmals wandte er sich gegen "Defätisten" und jene, die glaubten, es gebe keinen Verhandlungsspielraum mehr. Die EU müsse endlich einsehen, dass der Deal, den seine Vorgängerin Theresa May ausgehandelt hatte, "inakzeptabel" sei für das Parlament und für ganz Großbritannien. Er werde einen "neuen und besseren Deal" aushandeln. Der Backstop für Irland müsse aus dem Austrittsabkommen verschwinden. Ansonsten gehe man eben ohne Abkommen.

Auch körpersprachlich unterstrich Johnson den mutmaßlichen Energieschub, indem er nach Fragen wie ein Springteufel von seiner Bank aufschnellte. Seine Anhänger im Parlament dankten es ihm überschwänglich. "Wie wunderbar, endlich einen Optimisten als Premierminister zu haben", jubelte ein konservativer Abgeordneter. Ein anderer freute sich, "zum ersten Mal seit Monaten wieder gut geschlafen" zu haben. Viele Kollegen äußerten sich ähnlich - verständlich nach dem Trübsinn, den Theresa May zuletzt ausstrahlte an dieser Stelle.

Aber was kann Johnson, jenseits der Rhetorik, was May nicht konnte? Wie will er das Brexit-Problem lösen, das sich nur inhaltlich und nicht rhetorisch lösen lässt? Es besteht ja bekanntlich darin, dass sich die EU nicht auf einen substanziell neuen Deal einlassen will. Sie wird kein Austrittsabkommen akzeptieren ohne einen sogenannten "backstop" für die Grenze in Irland. Hier stehen die EU-Verhandler bei der irischen Regierung im Wort, und diese Linie wird von allen EU-Regierungen unterstützt.

Mit backstop wird es aber keine Mehrheit für einen Deal im britischen Parlament geben. An dieser Klippe ist Theresa May dreimal gescheitert. Einen Deal mit der EU bis Ende Oktober hinzubekommen sei "nicht Teil der realen Welt", zitierte der Labour-Abgeordnete Hillary Benn den irischen Premier Leo Varadkar.

Der Glaube, es trotzdem hinzukriegen und an der Entschlossenheit der Brüsseler Verhandler zu zweifeln, gehört in die Kategorie "politische Magie". Da hilft auch Johnsons Hinweis wenig, dass es doch möglich sein müsse, eine Lösung zu finden, wie sich der Güterverkehr zwischen Nordirland und Irland mit technischen Mitteln kontrollieren lasse. Man könne den Handel von der physischen Grenze wegnehmen, ein System von zertifizierten Händlern einführen und so fort. Aber diese Lösungen wird, wenn überhaupt jemals, erst in vielen Jahren geben. 17 Mal habe sie die Regierung nach technischen Alternativen zum backstop in Irland gefragt, sagte die Labour-Abgeordnete Yvette Cooper. Und habe keine Antwort bekommen.

Hat Boris Johnson über den Mentalitätswandel hinaus also bessere Karten, ein wirksameres Druckmittel gegenüber der EU als seine Vorgängerin? Sein Plan ist offensichtlich, der EU zu zeigen, dass er es als erster Premierminister wirklich ernst meint mit der Absicht, notfalls ohne Deal auszutreten. Dadurch, so die Hoffnung, könnte sich die EU in letzter Sekunde doch noch zum Einlenken bewegen lassen. Das ist unrealistisch, weil sich an der für Großbritannien prinzipiell unvorteilhaften Verhandlungssituation beim Brexit nichts geändert hat: Bei einem ungeregelten Austritt hat das Land relativ gesehen mehr zu verlieren als die EU. Wenn Johnson also glaubt, der EU drohen zu können mit einem No-Deal-Brexit, dürfte er sich täuschen.

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