Süddeutsche Zeitung

Griechenland und Spanien:Europas Linke auf dem Vormarsch

Lesezeit: 2 min

Von Thomas Urban, Madrid, und Stefan Ulrich

Nicht nur in Griechenland, auch in anderen europäischen Krisenstaaten ist die Linke auf dem Vormarsch. In Spanien hat die linksalternative Oppositionspartei Podemos (Wir können es) bei einer Demonstration am Samstag im Zentrum Madrids weit mehr als 100 000 Anhänger auf die Straße gebracht.

Parteichef Pablo Iglesias, ein 36-jähriger Dozent für Volkswirtschaft, dessen Pferdeschwanz zu seinem Markenzeichen geworden ist, verkündete: "Die Zeit für den Wandel ist gekommen." Die Menge antwortete mit dem Ruf: "Presidente, presidente!" In Spanien trägt der Premier den Titel "Präsident der Regierung". Die nächsten Parlamentswahlen stehen im Spätherbst an, in jüngsten Umfragen liegen sowohl Podemos, als auch die oppositionellen Sozialisten (PSOE) sowie die regierende Volkspartei (PP) unter Mariano Rajoy jeweils zwischen 20 und 25 Prozent.

So sehr Iglesias die Griechen als Vorbild rühmt, so unterschiedlich ist die Lage für die Spanier. Nicht nur, weil Podemos zwei große Konkurrenten hat, sondern vor allem auch, weil das Land die Rezession überwunden hat. Im letzten Quartal 2014 hatte es infolge des Sanierungsprogramms Rajoys das größte Wirtschaftswachstum in der Euro-Zone. Die Konsumlaune steigt, die Krisenstimmung sinkt spürbar. Auch verortet die überwältigende Mehrheit im Gegensatz zu den Griechen die Ursachen für die Krise nicht in der EU, sondern im Versagen der eigenen politischen Klasse: Immobilienspekulation und Korruption.

Die Spanier sind traditionell proeuropäisch

Analysen habe ergeben, dass Podemos das Hoch in den Umfragen vor allem den gigantischen Korruptionsaffären in PP, als auch PSOE zu verdanken hat. Hingegen sieht die große Mehrheit sozialistische Wirtschaftsexperimente, wie sie die Podemos-Führung ankündigt, mit großer Skepsis. Auf diese "schweigende Mehrheit" setzt auch Rajoy. Er hat bis Jahresende eine Million neuer Arbeitsplätze angekündigt. Hinzu kommt, dass die Spanier traditionell lagerübergreifend proeuropäisch sind. Ängste oder gar Aggressionen wegen der EU zu schüren, kann in Spanien also nicht funktionieren.

Mindestens 100 000 Anhänger der Linkspartei Podemos (zu Deutsch: "Wir können es") gehen am Samstag in Madrid auf die Straßen.

Sie protestieren beim "Marsch für Veränderungen" gegen die Sparpolitik der spanischen Regierung.

In jüngsten Umfragen liegen die Linken gleichauf mit den großen Parteien PP und PSOE. "Wir können die Geschichte verändern", steht auf dem Plakat.

Griechische Flagge an der Puerta del Sol: Podemos will bei der Parlamentswahl im November den Erfolg von Syriza nachmachen.

"Ticktack, Ticktack, die Stunde der Veränderung ist da": Doch auch wenn Podemos die Griechen als Vorbild rühmt, die Situation ist eine andere.

Die junge Partei hat zwei große Konkurrenten, Spanien die Rezession gerade überwunden. Und: Die Mehrheit scheut sozialistische Wirtschaftsexperimente.

Trotzdem: "Die Zeit für den Wandel ist gekommen", sagt Parteichef Pablo Iglesias. Und die Menge antwortet mit dem Ruf: "Presidente, presidente!"

In Madrid rechnet die Mehrheit der Kommentatoren daher eher mit einer großen Koalition der beiden etablierten Parteien als mit einer Regierungsbeteiligung von Podemos. Zum Zünglein an der Waage könnte zum Jahresende auch eine bislang eher marginale Mitte-links-Gruppierung werden, die mit Podemos wenig im Sinn haben dürfte: die Ciudadanos (Bürger) mit dem populär gewordenen Kürzel C's.

Sie wollen den Finanzsektor besser kontrollieren und das zuletzt stark beschnittene soziale Netz bewahren, aber nicht, wie Podemos, grundlegend an der Wirtschaftsordnung rütteln. Die Ciudadanos haben energische Maßnahmen gegen die Korruption in ihrem Programm aufgeführt und konkurrieren auf diesem Feld mit Podemos.

Während in Griechenland und Spanien neue linke Kräfte an die Macht drängen, erlebt in Italien die alte, als Partei längst untergegangene Democrazia Cristiana eine Renaissance. Sowohl der am Samstag gewählte neue Präsident Sergio Mattarella als auch Premier Matteo Renzi haben ihre politischen Wurzeln in der italienischen Christdemokratie, die stets sehr proeuropäisch ausgerichtet war. Radikale Abenteuer und Irrfahrten wie in Griechenland sind von Renzi nicht zu befürchten, und von Mattarella schon gar nicht. Beide Politiker dürften vielmehr darauf drängen, dass Italien seinen Reformkurs fortsetzt.

Renzi betont oft, es liege im ureigenen Interesse der Italiener, ihr Land zu sanieren und zu modernisieren. Zugleich kritisiert er aber den in Berlin und Brüssel verfochtenen Sparkurs als zu rigide und fordert, die EU müsse nun mehr Wachstumsimpulse setzen. Reformgegner in seiner eigenen sozialdemokratischen Partei empfinden Renzi dennoch als viel zu wirtschaftsliberal. Sein Problem wird daher auch künftig darin bestehen, Mehrheiten im Parlament für seinen Kurs zu bekommen.

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SZ vom 02.02.2015
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