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Frauen in der Piratenpartei:Ellenbogen raus!

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Auf der Kandidatenliste für den Bundesvorstand der Piraten stehen bisher nur Männer. Wer jetzt aber die Piraten als Machos schmäht, verkennt: Dort, wo es in Deutschland um Macht und Einfluss geht, sind Frauen immer unterrepräsentiert. Dabei können nur sie selbst ihre eigenen Probleme lösen.

Hannah Beitzer

Die nackte Nachricht zuerst: Auf der Kandidatenliste für den Bundesvorstand der Piratenpartei stehen derzeit nur Männer ( Disclaimer: Der Artikel entstand vor einigen Wochen. Inzwischen sind dort einige Frauen zu finden). Zwar hat die bisherige Beisitzerin Gefion Thürmer ihre erneute Kandidatur in ihrem Blog schon angekündigt - doch das ändert kaum etwas am Gesamtbild: Frauen drängen nur vereinzelt nach vorne in dieser Partei, die bald schon in mehreren Länderparlamenten und vielleicht sogar 2013 im Bundestag vertreten sein könnte.

Der Ruf eines Machohaufens haftet den Piraten schon länger an. Ein Großteil der Mitglieder sind Männer. Nur eine Piratin, Susanne Graf, sitzt neben 14 Männern im Berliner Abgeordnetenhaus. Und dann kündigte auch noch im Januar die politische Geschäftsführerin Marina Weisband an, für eine Weile zu pausieren. Sie ist zur Zeit neben Gefion Thürmer die einzige Frau im Piratenvorstand. Das bestätigte viele in ihrer Theorie von der Männerpartei.

Die Piraten selbst eiern bei diesem Thema herum. Man habe bisher vielleicht "weniger frauenaffine Themen" vertreten, sagte zum Beispiel Vize-Vorstand Bernd Schlömer der taz. Andere finden die eindeutige Festlegung auf zwei Geschlechter ohnehin überholt. Wieder andere machen die Gesellschaft für den Frauenmangel in der technikaffinen Partei verantwortlich - schließlich erziehe man kleine Mädchen nach wie vor zum Puppenspielen und nicht zum Programmieren.

Nur in einem sind sich die Piraten einig: Eine Frauenquote lehnen sie ab. Es solle auf Themen, und nicht auf das Geschlecht ankommen in der Politik. Tatsächlich würde die Quote der Partei rein gar nichts bringen. Sie hilft ja nur da, wo überhaupt Frauen bereit sind, Funktionen zu übernehmen.

Dass der Erfolg der Piraten deswegen, wie im konservativen Polit-Magazin Cicero stand, "auch als ein Protest gegen die Dominanz eines eher weiblich geprägten grünen Zeitgeistes in der öffentlichen Diskussion verstanden werden" könne, ist dennoch totaler Blödsinn. Vielmehr sind sie, so muss man leider konstatieren, ein einigermaßen realistischer Spiegel der Gesellschaft.

Die Bundeskanzlerin ist ein schwacher Trost

Frauen sind in Deutschland auch im 21. Jahrhundert überall dort, wo es um Macht und Einfluss geht, unterproportional vertreten. Wobei unterproportional noch nett ausgedrückt ist. In den Vorstandsetagen der großen Unternehmen: männliche, zumeist weiße, mittelalte Anzugträger. Unter etwa 190 Dax-Vorständen sind derzeit sechs Frauen - umgerechnet gut drei Prozent. Und auch in den Medien lärmen vor allem Männer herum - zu den wichtigsten Themen schreiben vor allem Männer die Leitartikel, stellte völlig richtig die taz-Kolumnistin Hilal Sezgin fest. Von den Chefredaktionen braucht man gar nicht erst zu sprechen.

Dass wir eine Bundeskanzlerin haben, oder Arbeitsministerin Ursula von der Leyen, die ihren männlichen Kollegen in Sachen Durchsetzungskraft in nichts nachsteht, ist nur ein schwacher Trost. Denn wenn man genauer hinschaut, dann ist auch die Politik alles andere als gleichberechtigt: Das Kanzlerkandidatentrio der SPD - männlich, 50 plus, Akademiker - könnte genauso gut in diversen Unternehmensvorständen sitzen. Und auch neuer Bundespräsident wird wohl - wie immer - ein Mann: Joachim Gauck.

Bei der FDP dürfen Frauen zwar kandidieren, aber hübsch müssen sie sein - "nach dem Motto: Sex sells", sagte kürzlich die Vorsitzende der Liberalen Frauen Doris Buchholz. Und Familienministerin Kristina Schröder lässt sich vom Oberpolterer Horst Seehofer und seiner Männerpartei CSU eine steinzeitliche Herdprämie aufdrängen, die nun wirklich keiner Frau weiterhilft. "Weiblich geprägter grüner Zeitgeist"? Ähem. Das erzähle mal einer den Frauen, die sich Tag für Tag abzappeln, um sowas wie eine Karriere hinzukriegen.

Da braucht man nicht nur in die Chefetagen zu schauen. Es reicht ein Gespräch mit der jungen, international ausgebildeten Projektleiterin, bei der Geschäftspartner zum Meeting-Beginn regelmäßig Kaffee bestellen, während sie die (männlichen) Praktikanten mit Handschlag begrüßen. Oder man frage die Unternehmensberaterin, die sich einen unechten Ehering zugelegt hat, damit sie während der Arbeit nicht ständig von ergrauten Kollegen und Vorgesetzten zweideutige Angebote bekommt.

Die gläserne Decke, die Frauen angeblich vom Karrieremachen abhält, taucht nicht plötzlich aus dem Nichts auf. Sie ist ein ständiger Begleiter. Und ja, es ist furchtbar nervtötend, anstrengend und oft auch demütigend, wie man sich als Frau abkaspern muss, um auf sich aufmerksam zu machen. Manche wollen noch härter und tougher sein als die männlichen Konkurrenten. Andere versuchen, gerade das einzubringen, was Männern angeblich fehlt: Empathie, Kommunikations- und Konsensfähigkeit. Und wieder andere setzen vielleicht auf gutes Aussehen. Spaß macht das nicht.

Geschlecht - im digitalen Raum kein Thema?

Die Piraten betonen gern, dass im digitalen Raum der Unterschied zwischen den Geschlechtern ohnehin weniger relevant ist. Man sei halt einfach Mensch. Und wenn die Frauen in der Partei lieber im Hintergrund arbeiten wollten, dann sei das deren freie Entscheidung. Das hört sich erst einmal logisch an.

Aber eins können auch die Piraten nicht bestreiten: Im realen Raum ist der Unterschied zwischen Mann und Frau nach wie vor gravierend. Frauen bekommen weniger Geld als Männer. Bei Angestellten beträgt der Einkommensunterschied im Schnitt 23 Prozent, sogar bei gleicher Arbeit verdienen Frauen acht Prozent weniger. Oft werden sie von Arbeitgebern schon beim Einstieg schlechter eingestuft - schließlich dauere ihre Familienauszeit im Schnitt länger als bei einem Mann.

Das stimmt sogar: Nur jeder fünfte Vater nimmt überhaupt Elternzeit, und die allermeisten davon nur die zwei Monate, die es braucht, um die volle Summe Elterngeld für 14 Monaten einzustreichen. Warum? Tja, darauf wissen die meisten jungen Familien auch keine rechte Antwort. Eigentlich, so beteuern viele, sei man schon für Gleichberechtigung.

Aber das ist noch längst nicht alles: Alleinerziehende Frauen sind besonders oft arm, zeigen Studien. Das Bild setzt sich bis ins hohe Alter fort: Da Frauen weniger arbeiten als Männer, bekommen sie weniger Rente.

Um diese Probleme in Politik, Gesellschaft, Unternehmen und nicht zuletzt in den Familien zu lösen, braucht es Frauen, die sich ganz nach vorne trauen, die an der gläsernen Decke vorbeikommen - denn es wäre schlicht entwürdigend, das von den Männern da oben zu erwarten. Damit würden sich die Frauen selbst zu unmündigen Sozialfällen degradieren, zu armen Geschöpfen, denen man helfen muss, damit sie auch ein Stück vom Kuchen abbekommen. Und: Die besten Lösungen findet doch immer der, der auch am besten weiß, worum es geht.

Darum braucht es in jeder Partei - auch bei den Piraten - Frauen, die sich behaupten, durchsetzen und all diese leider immer noch sehr frauenspezifischen Themen in der Öffentlichkeit thematisieren. Still im Hintergrund arbeiten reicht dafür nicht.

Nur mit Frauen in der ersten Reihe wird es vielleicht bald echte Lösungen geben, wie man Familie, Karriere und Beziehung unter einen Hut bringen kann. Dann werden in ein paar Jahren vielleicht auch Frauen genauso viel verdienen wie Männer. Und dann werden die Töchter der jungen Frauen von heute Vorbilder haben, die zeigen, dass man beides sein kann: Frau und Chef.

Bei den Piraten gibt es zumindest kleine Lichtblicke. So wie Julia Schramm, prominentes Mitglied der Partei, die jetzt offenbar doch über eine Kandidatur für den Parteivorstand nachdenkt. "Naja, ich will nicht", schrieb sie erst auf Twitter, um dann nachzuschieben "aber wenn die Kandidatenlage so bleibt wie sie ist bis Ende März ... werde ich es tun." Bitte, Frau Schramm, vorwärts! Eine muss ja schließlich anfangen.

In einer früheren Version des Artikels stand: "Frauen bekommen bei gleicher Arbeit weniger Geld als Männer. Bei Angestellten beträgt der Einkommensnachteil im Schnitt 23 Prozent." Dies war missverständlich, weil sich ein Teil der 23 Prozent auf strukturell unterschiedliche arbeitsplatzrelevante Merkmale von Männern und Frauen zurückführen lässt (siehe oben). Wir bitten den Fehler zu entschuldigen.

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