Süddeutsche Zeitung

Corona in Frankreich:Knapp eine Million Franzosen vereinbaren Impftermin

Lesezeit: 3 min

Präsident Macron kündigt eine Impfpflicht für Pflegepersonal an - und verschärft die Regelungen für den Besuch von Restaurants oder Kinos. Vor allem junge Menschen reagieren umgehend.

Von Nadia Pantel, Paris

Knapp eine Million Franzosen haben in der Nacht von Montag auf Dienstag einen Impftermin vereinbart, um sich gegen das Coronavirus zu immunisieren. Der Impfandrang war die direkte Reaktion auf eine Rede des Präsidenten Emmanuel Macron am Montagabend. Macron kündigte zum einen eine Impfpflicht für alle Menschen an, die in Krankenhäusern arbeiten oder die in Altenheimen oder zu Hause Menschen pflegen. Gesundheitsminister Olivier Véran sagte am Dienstag, Personal des Gesundheitssektors, das sich nicht gegen Covid-19 impfe, dürfe vom 15. September an nicht weiter arbeiten und werde nicht länger bezahlt.

Zum anderen will Macron die Bedingungen für bestimmte Aktivitäten verschärfen. Vom 21. Juli an darf man in Frankreich Kinos, Theater oder Freizeitparks nur besuchen, wenn man eine Impfung oder eine überstandene Corona-Infektion nachweist oder einen negativen Corona-Test vorlegt. Bislang gab es hierfür keine Beschränkungen. Von August an muss man den "Pass sanitaire", in dem der Impfstatus erfasst wird, auch in Restaurants, Einkaufszentren und in Langstreckenzügen vorzeigen. Diese neuen Regeln gelten auch für Jugendliche, die älter als zwölf Jahre sind.

Wer sich nicht impfen lassen kann oder möchte, kann statt des "Pass sanitaire" zwar auch einen negativen Antigen- oder PCR-Test verwenden, um Zugang zu Freizeiteinrichtungen oder Reisen zu bekommen. Allerdings werden die Tests in Frankreich von Herbst an für die Bürger nicht mehr umsonst sein, wie Macron nun ankündigte.

Bei den Personen, die direkt nach der Rede des Präsidenten einen Impftermin vereinbarten, handelt es sich dem Vermittlungsportal Doctolib zufolge zu 65 Prozent um Menschen, die jünger sind als 35 Jahre. Zwei Drittel der neuen Termine wurden für die kommenden sieben Tage vergeben.

Ein Ärztevertreter reagiert "erleichtert" - die Gelbwesten sind empört

In Frankreich wurden 53 Prozent der Bevölkerung mindestens einmal geimpft, 40 Prozent haben die nötigen zwei Spritzen erhalten. Die Impfung steht seit dem 31. Mai allen volljährigen Franzosen offen. Das Interesse daran hatte in den vergangenen Wochen abgenommen. Im Mai hatten noch täglich mehr als 400 000 Menschen eine Erstimpfung erhalten. Im Juli lag diese Zahl durchschnittlich bei unter 150 000.

Konservative Medien wie der Figaro bescheinigten Macron am Dienstag nach den Ankündigungen, ihm sei es gelungen, das Land "zurück zur Vernunft" zu führen. Der Präsident regiere nicht mit "Angst oder Schuldzuweisungen", sondern betone den Nutzen der Impfung, die "unverzichtbar" sei. Der Chef der Pariser Krankenhäuser, Martin Hirsch, sagte, er sei "durch die Rede Macrons erleichtert". 95 Prozent der Ärzte in den Krankenhäusern seien geimpft, bei den Pflegekräften liege diese Zahl bei 40 Prozent. Alle Patienten, die aktuell mit schweren Covid-Verläufen in Pariser Krankenhäuser eingeliefert werden, seien nicht geimpft, so Hirsch.

Kritiker der Maßnahmen sehen hingegen keine starken Impfanreize, sondern eine Impfpflicht durch die Hintertür. Noch im April hatte Macron ausgeschlossen, einzelne Berufsgruppen zur Impfung zu zwingen. Der Präsident begründete seine Meinungsänderung mit dem Auftreten der deutlich ansteckenderen Delta-Variante, die inzwischen für die Mehrheit der Corona-Infektionen verantwortlich ist. Laut Regierungssprecher Gabriel Attal verdoppelt sich die Zahl der Infizierten aktuell alle fünf Tage.

Für Mittwoch, den 14. Juli, Frankreichs Nationalfeiertag, haben Anhänger der Bewegung der "Gilets jaunes" Proteste im ganzen Land angekündigt. Die Gelbwesten, die sich 2018 im Widerstand gegen steigende Lebenskosten gründeten, haben sich zu einem Netzwerk von Impfkritikern entwickelt. Sie sehen in der Impfpflicht einen Eingriff in die Freiheit des Einzelnen.

Auch die Politikerin Michèle Rivasi, Europaabgeordnete und Mitglied bei Frankreichs grüner Partei EELV, wandte sich am Montag und Dienstag auf Twitter mit schwerem verbalen Geschütz gegen Macrons Impfkampagne. Rivasi schrieb von "Apartheid im Land der Menschenrechte". Prominente Mitglieder von EELV, darunter Präsidentschaftsbewerberin Sandrine Rousseau, widersprachen Rivasi.

Opposition kritisiert Alleingänge des Präsidenten

Macrons Pläne müssen noch von der Nationalversammlung bestätigt werden. Dort hat Macrons Partei La République en Marche die Mehrheit. Frankreichs Corona-Politik wird im nationalen Verteidigungsrat geplant und vom Parlament lediglich abgesegnet. Die Verantwortung für die Maßnahmen übernimmt allein Macron. Bereits der erste, zweite und dritte Lockdown und die nächtlichen Ausgangssperren wurden von Macron in Fernsehansprachen angekündigt. So wie nun die Impfpflicht für das Pflegepersonal. Die Opposition kritisiert regelmäßig, dass Macron seine Entscheidungen ohne Absprachen treffe. Zu größeren Protesten gegen die Corona-Verordnungen kam es in den vergangenen eineinhalb Jahren allerdings bislang nicht.

Die Rede vom Montagabend war Macrons achte Ansprache ans Volk seit Ausbruch der Pandemie. Der Präsident versuchte dabei auch, sein Profil als Reformer zu verteidigen und die Verdienste seiner Amtszeit zu betonen. Im April 2022 stehen in Frankreich die Präsidentschaftswahlen an. Macron hat seine erneute Kandidatur zwar noch nicht offiziell verkündet, doch er klang am Montag nicht nur wie ein Krisenmanager, sondern wie ein Wahlkämpfer. Frankreich habe "im Herbst eine Verabredung mit der Zukunft", so Macron. Er wolle ein "unabhängiges Frankreich aufbauen", in dem "die Jugend die Zukunft nicht fürchtet, sondern erfindet".

Vage blieb Macron in der Frage der Rentenreform, die zu seinen zentralen Wahlversprechen gehört. Macrons Kernwählerschaft in der Mitte will eine Überführung des aktuellen Rentensystems in ein einheitliches System - derzeit besteht es aus mehr als 40 Sonderkassen. Macron sagte am Montagabend erneut, das aktuelle Rentensystem sei ungerecht und die Franzosen müssten sich darauf einstellen, in Zukunft länger zu arbeiten. Die Rentenreform könne jedoch nicht wiederaufgenommen werden, solange die Pandemie nicht "unter Kontrolle" sei.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5350592
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.