Süddeutsche Zeitung

Frankreich in Not:Hollande zögert und zaudert

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Frankreichs Präsident geht auf Merkel-Kurs, indem er vorm Schuldenmachen warnt und fürs Sparen wirbt. Das ist ein notwendiger Schwenk. Gut, aber nicht gut genug. Hollande muss sein Land führen - in Europa. Und dazu braucht es Außergewöhnliches, keinen nationalen Ansatz.

Stefan Ulrich, Paris

Die Europäer müssten sich die Augen reiben. Noch vor Kurzem präsentierte sich François Hollande als gallisches Bollwerk gegen germanische Sparwut. Seinen Landsleuten versprach er Wachstum statt Haushaltsstrenge. Der Euro-Fiskalpakt, den Vorgänger Nicolas Sarkozy und die deutsche Kanzlerin Angela Merkel mühsam ausgearbeitet hatten, werde neu verhandelt.

So weit, so Wahlkampf. Heute bittet Präsident Hollande darum, die Nationalversammlung möge am Dienstag mit ihrer linken Mehrheit den vom Geist einer schwäbischen Hausfrau geprägten Fiskalpakt ratifizieren, an dem kein Jota verändert wurde. Zugleich legt er Frankreich eine Budgetdisziplin auf, die als historisch gilt und der Tradition des Landes widerspricht. Hollande warnt vor dem Schuldenmachen und wirbt fürs Sparen. Es ist ein notwendiger Schwenk.

Frankreich leidet unter Stagnation und hoher Arbeitslosigkeit. Mittelfristig könnte das gefährlich verschuldete Land das Vertrauen der Anleger verlieren und in einen Abwärtssog geraten wie Italien und Spanien. Langfristig könnte es aus dem Kreis der wichtigsten Industriestaaten fallen. Zugleich kämpft der Euro ums Überleben - und das vereinte Europa um seine Existenz.

Hollande weiß das und er reagiert darauf - aber er bleibt halbherzig. Er verweigert den großen Wurf. Der Sozialist hat den Élysée-Palast in prekärer Lage erobert. Da reicht es nicht, ein normaler oder ein guter Präsident zu sein. Hollande müsste Außergewöhnliches leisten, um Frankreich zu sanieren und Europa zu bewahren. Die Zweifel wachsen, dass er dazu imstande ist.

Moderieren, nicht führen

Der Präsident moderiert, statt zu führen. Er erklärt nicht, welches Frankreich, welches Europa er gestalten will. Er verlangt den Bürgern Opfer ab, ohne diese in einen großen Zusammenhang zu stellen. Er sagt nicht, was er wirklich denkt, sondern flüchtet sich ins Ungefähre. Viele Franzosen verunsichert dieses Lavieren. Viele Europäer sind enttäuscht.

Dabei könnte Hollande ein Glücksfall für den Kontinent sein. Endlich bekennt sich ein französischer Spitzensozialist zur moderaten, pragmatischen Sozialdemokratie. Endlich kann sich ein französischer Präsident mehr als nur das Europa der Nationen eines Charles de Gaulle vorstellen. Hollande ist frisch gewählt und verfügt über eine linke Mehrheit im Parlament und in den meisten Regionen, Departements und Großstädten. Er sollte jetzt zum Wohl Frankreichs und Europas seine Überzeugungen durchsetzen, auch auf die Gefahr hin, dadurch Teile der Linken zu verärgern und die Präsidentschaftswahl in fünf Jahren zu verlieren.

Der Wirtschaftsexperte Hollande weiß nur allzu gut, dass sein Land sich stärker der Globalisierung anpassen muss als bisher geschehen. Die Rente mit 60, die 35-Stunden-Woche, hohe Lohnnebenkosten auf Arbeitgeberseite, ein strikt geregelter Arbeitsmarkt und ein großzügiges Sozialsystem sind den Franzosen lieb und teuer. Doch sie vertreiben die Unternehmen ins Ausland und überschulden den Staat. Die Wettbewerbsfähigkeit lässt sich in Euro-Zeiten nicht mehr durch Abwertung des Franc retten; und Schulden werden derzeit zum Glück nicht mehr durch Kriege ausgelöscht oder durch hohe Inflation auf Kosten der Bürger getilgt.

Die Staaten stehen im Wettbewerb um Unternehmen und Kredite. Da stellt sich die Frage, ob ein linker Staatsmann heute überhaupt noch linke Politik machen kann. Die Antwort lautet: ja, aber nicht im Alleingang.

Nicht mehr national, nur noch europaweit lässt sich ein sozialdemokratisches, sozialliberales oder christsoziales Gesellschaftsmodell durchsetzen und in einer vom reinen Profitdenken dominierten Welt verteidigen. Doch gerade in Sachen Europa schweigt sich Hollande aus. Unter dem Vorwand, sich auf die Schuldenkrise zu konzentrieren, verweigert er die Debatte über eine politische Union, die von der Bundesregierung angestoßen wurde. Soll der Präsident der EU-Kommission von den Bürgern gewählt werden? Soll das Europäische Parlament gestärkt werden? Wer kontrolliert eine europäische Wirtschaftsregierung und eine Fiskalunion? Wird Europa eine gemeinsame Armee bekommen? Darauf hätte man gern Antworten vom Präsidenten der Republik.

Hollande ist ein überzeugter Europäer, aber auch ein ängstlicher. Er fürchtet, seine Sozialistische Partei werde noch einmal zwischen Ja und Nein zerrissen wie 2005 beim französischen Referendum über den EU-Verfassungsvertrag. Die Furcht ist begründet. Doch sie darf Hollande nicht länger bremsen. Er ist nicht mehr Parteichef, sondern Staatspräsident.

Die Sozialisten müssen sich allein helfen. Hollande wird von allen Europäern gebraucht.

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Quelle:
SZ vom 08.10.2012
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