Süddeutsche Zeitung

Frankreich:Frankreichs Sozialisten: Rivalität im magischen Dreieck

Lesezeit: 3 min

Von Stefan Ulrich, München, und Christian Wernicke, Paris

Es könnte so einfach sein. Die Truppen marschieren am 14. Juli, dem Nationalfeiertag, die Champs-Élysées hinunter und salutieren vor François Hollande, dem französischen Staatschef und Oberkommandierenden der Streitkräfte. Diszipliniert, wie stets bei diesem Anlass, huldigen sie der Macht und Einheit von Republik und Präsident. Dieser hat, akkurat frisiert, sein schneidigstes Gesicht aufgesetzt - und wer vom Mars auf die Szene hinabschauen würde, der könnte glauben, Monsieur Hollande habe alles im Griff.

Doch das Bild täuscht. Denn die Regierungs- und Parteisoldaten des sozialistischen Präsidenten sind längst nicht so tadellos aufgestellt wie die Armee. Da wird getuschelt und gelästert, geschubst und gerangelt, und der eine oder andere dreht Hollande eine lange Nase. Die Parteilinke agitiert etwa gegen seine wichtige Arbeitsmarktreform, während die Parteirechte klagt, diese gehe nicht weit genug.

Besonders bunt treibt es derzeit Emmanuel Macron, der 38 Jahre alte, vor Schaffenskraft und Ehrgeiz berstende Wirtschaftsminister. Macron hatte am Dienstagabend in Paris beim ersten großen Treffen seiner neuen Polit-Bewegung "En Marche!" angekündigt: "Wir werden unsere Bewegung bis 2017 tragen - bis zum Sieg." Seine Anhänger sahen darin das Versprechen, Macron wolle bei der Präsidentschaftswahl 2017 antreten. Dies wiederum konnte der amtierende Präsident Hollande, der sich noch nicht zu einer möglichen weiteren Kandidatur geäußert hat, nur als Kampfansage werten.

Der Präsident tut erst einmal, was seinem Charakter entspricht: Er schiebt die Entscheidung auf

Paris war an diesem Donnerstag daher weniger auf die Truppenschau gespannt als auf die Reaktion des Präsidenten. Um 13 Uhr trat Hollande im Fernsehen auf. Würde er seinen aufmüpfigen Wirtschaftsminister entlassen, so wie sich das Premierminister Manuel Valls wünschte?

Der Präsident tat, was seinem Charakter entspricht. Er verschob die Entscheidung und beließ es fürs Erste bei einer Warnung an Macron: In einer Regierung gebe es zwei Regeln - Teamgeist und Diensttreue bis zum Ende. Persönlicher Ehrgeiz sei da fehl am Platz. "Wer diese Regeln achtet, bleibt in der Regierung. Wer sie verletzt, der bleibt nicht."

Der Kampf um die Macht bei der regierenden Linken bleibt damit offen. Hollande, Macron und Valls bilden auf ihre Art ein magisches Dreieck an der Spitze der Republik, das noch für manche Überraschung gut sein kann. Der im Volk chronisch unbeliebte Hollande glaubt offenbar noch daran, kommendes Jahr wieder Präsident werden zu können. Er braucht den wirtschaftsfreundlichen Ex-Investmentbanker Macron, um die Wähler in der Mitte zurückzugewinnen, die ihm 2012 zum Sieg verhalfen.

Hollande hat also kein Interesse daran, den Wirtschaftsminister, den er selbst in die Politik geholt und aufgebaut hat, heute rauszuwerfen - um ihn dann morgen als Gegenkandidaten zurückzubekommen. Premier Valls dagegen möchte Macron so schnell wie möglich loswerden. Denn er sieht in ihm den schärfsten Rivalen im Kampf um die Führung der gemäßigten Linken nach Hollande.

Macron folge den "Sirenengesängen der Populisten", ätzt Valls

Und Macron? Der Wirtschaftsminister testet, wie weit er gehen kann. Er will nicht als Brutus in die Geschichte eingehen, aber auch nicht mit seinem Ziehvater Hollande untergehen. Am liebsten wäre es ihm wohl, wenn Hollande im Herbst unter dem Eindruck miserabler Umfragewerte freiwillig auf eine Wiederkandidatur verzichten würde, so dass der Umfrageliebling Macron als Retter der Sozialisten in den Wahlkampf einsteigen könnte.

Am Dienstag sagte Macron, er werde Hollande nie genug für dessen Vertrauen danken können. Dann fügte er hinzu: "Vielen Menschen schulde ich Dank, aber ich werde ihn in Freiheit abstatten, meinen eigenen Ideen treu." Zu diesen Ideen gehören Angriffe auf "das System", das müde und verbraucht sei. Diese Kritik aus diesem Mund finden etliche Sozialisten grotesk, da Macron - der Absolvent von Elite-Unis, Bankier, Jungmillionär und Minister - ja gerade ein Produkt des Pariser Machtsystems sei. Valls warf Macron jetzt vor, dieser folge den "Sirenengesängen der Populisten". So offen ist der Konflikt zwischen den beiden noch nie zutage getreten.

Präsident Hollande versuchte am Donnerstag, sich über den Hader seiner Hintersassen zu erheben und als Beschützer Frankreichs aufzutreten. Im Hinblick auf den immer stärker werdenden radikalen Front National sagte er, bei der Wahl 2017 gehe es um viel mehr als 2012. "Was uns bedroht, ist ein schwerer Angriff auf die Demokratie." Zugleich räumte der Präsident ein, zu Anfang seiner Amtszeit Zeit vergeudet zu haben. Trotzdem werde er bald eine Trendwende auf dem Arbeitsmarkt erreichen. Frankreich werde 2017 ein geringeres Haushaltsdefizit und niedrigere Steuern haben als bei seinem Amtsantritt. Das klang schon fast nach einem Vermächtnis.

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Quelle:
SZ vom 15.07.2016
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