Süddeutsche Zeitung

Flüchtlinge in NRW:Bedauern ersetzt keine Verantwortung

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Flüchtlinge, Bildung, Schulden: In Nordrhein-Westfalen läuft einiges schief. Und immer ist die Reaktion von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft gleich. Das Land sei mal wieder Opfer der Verhältnisse geworden. Doch zumindest bei den Misshandlungsfällen stimmt das nicht.

Kommentar von Bernd Dörries

Den Ton hat sie getroffen. "Geschämt" habe sie sich, sagt Hannelore Kraft zu den Misshandlungen von Flüchtlingen in Nordrhein-Westfalen. Sich einfühlen, Worte des Bedauerns finden, das hat sie immer ganz gut hinbekommen, das ist ihr Markenkern geworden. Aber Bedauern ersetzt keine Verantwortung, Bedauern nutzt sich ab, wenn immer wieder etwas schiefläuft, das danach bedauert werden muss.

Und es läuft eben einiges schief in Nordrhein-Westfalen in diesen Monaten; und immer ist die Reaktion gleich: Das Land ist mal wieder Opfer der Verhältnisse geworden. Wenn die Schulden nur hier steigen und anderswo nicht, dann sind für Kraft die reichen Nachbarn im Osten schuld und der Niedergang von Kohle und Stahl im Ruhrgebiet. Wenn Studien das bevölkerungsreichste Land bei Bildung und Infrastruktur auf die letzten Plätze verweisen, dann haben die Statistiker für Kraft falsch gezählt. Und wenn nun alle bisher bekannten Misshandlungsfälle von Flüchtlingen sich in Nordrhein-Westfalen abspielten, dann ist das für die Regierung Kraft eben ein blöder Zufall. Oder wie es einer ihrer Beamten am Dienstag ausdrückte, "kein politisches, sondern ein logistisches Problem". Dann haben die Flüchtlinge eben Pech gehabt, hier gelandet zu sein und nicht im Süden Deutschlands, wo der Staat mehr Geld habe. Arm ist Nordrhein-Westfalen auch nicht, oder nicht nur. Aber man hat lieber an den Flüchtlingen gespart als an der Zahl der Landesbediensteten, weil dort der Widerstand am kleinsten war.

Schon vor den Misshandlungsfällen haben Pro Asyl und die Opposition mehr Geld gefordert und vor allem strengere Kontrollen. Der Bürgermeister von Burbach hat beim Innenminister vorgesprochen und gewarnt, dass da etwas aus dem Ruder läuft - und so ist es ja auch gekommen, ohne dass die Regierung Kraft reagierte. Es ist kein Zufall, dass die Misshandlungsfälle hier passierten; viele haben es kommen sehen. Kritik ist im System Kraft aber nicht mehr vorgesehen.

Nordrhein-Westfalen wähnt sich stets als Opfer der Verhältnisse

In Duisburg werden die Menschen in Zelten untergebracht, in Köln ziehen sie in einen leer stehenden Baumarkt. Das ist einerseits Zeichen einer schlichten Überforderung bei immer mehr Menschen, die nach Deutschland wollen. Gleichzeitig sprechen viele Kommunen in Nordrhein-Westfalen davon, Wohnungen abzureißen, weil man keine Mieter findet. Das passt schwer zusammen.

Letztlich zieht sich die Regierung Kraft auf das Argument zurück, dass für mehr Flüchtlinge eben auch mehr Geld aus Berlin kommen muss. So wie aus dem Länderfinanzausgleich auch mehr Geld zurück nach Bochum und Gelsenkirchen fließen soll, die sich derzeit verschulden müssen, um ihren Anteil am Soli für den Osten zu zahlen. Das ist ein irres System, das abgeschafft werden muss, da hat Kraft recht. Andererseits ist es eben auch keine schwere Rechenaufgabe, die Schulden der Ära Rau und seiner Nachfolgerin im Geiste zusammenzuzählen, um zu merken, dass das Geld im Land fehlt, weil es von der Sozialdemokratie schon vor Jahren ausgegeben wurde.

"Die Schulden von heute sind die Einnahmen von morgen", hat Rau immer gesagt, und Kraft tut es ihm nun gleich. Letztlich führen die Schulden einfach zu immer neuen Schulden. Deshalb bleibt in diesem Land auch weniger für Flüchtlinge übrig, die aus Zelten in Syrien in Zelte nach Duisburg kommen. Kraft hat einfühlsame Worte gefunden für den schrecklichen Missbrauch. Aber ob der Rest ihrer Regierung auch verstanden hat, dass diese Menschen eben kein rein logistisches Problem darstellen, ist eine andere Frage. Hohe Beamte sprachen am Dienstag weiter davon, bald neue Notunterkünfte "ans Netz zu nehmen", so wie einst die Kohlemeiler.

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Quelle:
SZ vom 01.10.2014
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