Süddeutsche Zeitung

Liberale:Die FDP ist eine Machtmaschine ohne Macht

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Regieren will die FDP nicht. Aber was will sie dann? Beim Dreikönigstreffen in Stuttgart sucht die Partei nach Antworten.

Von Mike Szymanski, Berlin

Die Stuttgarter Oper, in der die FDP am Samstag ihr traditionelles Dreikönigstreffen begeht, ist für Parteichef Christian Lindner fast schon ein schicksalhafter Ort: Aufstieg, Fall, Comeback - all diese Stationen verbinden sich in seinem Leben mit der Staatsoper in Stuttgart.

2010 - die FDP war gerade in die Regierung gekommen und hatte den Start verstolpert - hielt er als neuer Generalsekretär eine so beeindruckende Rede, dass der damalige Parteichef Guido Westerwelle fortan den Atem des Karrieristen im Nacken spüren konnte. Zwei Jahre später wurde er am selben Ort von den eigenen Leuten geschnitten, weil er den Generalsekretärsjob hingeworfen hatte. Die FDP befand sich im freien Fall. Lindner glaubte nicht mehr an die damalige Führung.

Aus der Macher-Partei ist eine Partei der Rechtfertiger geworden

Seine Zeit kam dennoch. 2013, als die FDP aus dem Bundestag flog. Er griff nach dem Vorsitz. 2014 stand er als Parteichef auf der Bühne in Stuttgart. Aber da interessiert sich kaum noch jemand für die Partei. Nicht einmal die Sternsinger kamen wie sonst immer vorbei. Der Pfarrer hatte sie nicht losgeschickt, weil er dachte, das Traditionstreffen falle aus. 2018 ist die FDP wieder voll da. Und wenn die vergangenen Wochen anders verlaufen wären, hätte Lindner im Opernhaus Parteifreunde sogar als Bundesminister für Soundso vorstellen können. Die FDP wäre Teil einer Jamaika-Regierung. Und Lindner? Der Größte! Dazu wird es am Samstag nun nicht kommen. Seine neue FDP bleibt ein unvollendetes Produkt; Lindner - obwohl erst 38 - vorerst ein Unvollendeter.

Ein einziger Satz Lindners hatte ausgereicht, den Höhenflug der FDP zu beenden, Selbstzweifel und Zukunftsängste aufkommen zu lassen: "Es ist besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren." Ausgerechnet die machthungrige FDP will nicht regieren. Nur, was will sie dann?

Das Dreikönigstreffen muss dringend Antworten auf Fragen wie diese bringen. 2017 endete für die Liberalen in schwieriger Lage. Aus der Macher-Partei ist eine Partei der Rechtfertiger geworden: Mal verwehrte sie Deutschland eine Regierung, weil CDU, CSU und Grüne nicht bereit für große Veränderungen gewesen seien. Dann lag es angeblich an Angela Merkel. Aus Sicht der Liberalen eine Frau von gestern, die nach zwölf Jahren im Amt als Kanzlerin nicht mehr für Aufbruch stehen könne. Im Bundestag macht der FDP der Banknachbar AfD das Oppositionsdasein schwerer, als es ohnehin ist. Sie gibt den rechtspopulistischen Verstärker und Verzerrer, gerade wenn Anträge und Entwürfe der Liberalen zur Debatte stehen.

Die frühere Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger machte ihren Parteifreunden gerade unmissverständlich klar, was Opposition aus ihrer Sicht eben auch bedeutet: "Durchsetzen kann man da leider nicht viel."

Es ist fatal für die Liberalen, wenn sich der Eindruck festsetzt, die FDP habe ihren Anspruch aufgegeben, ihre Politik auch umzusetzen. Wie sehr diese Sorge die Partei umtreibt, zeigte die leise Auseinandersetzung an der Spitze zwischen Lindner und seinem machtbewussten Vize Wolfgang Kubicki, 65. Lindner wollte jede Debatte über eine Neuauflage der Jamaika-Gespräche unterbinden. Aber Kubicki, der länger in der FDP ist als Lindner auf der Welt, hat erkannt, dass die Zukunft der FDP nicht in der Opposition liegt.

Mit der banalen Aussage, eine neue Lage verlange nach einer neuen Bewertung, öffnete er die Tür wieder für den Fall, dass die Sondierungen von Union und SPD scheitern. Selbst ein eilig von Lindner herbeigeführter Präsidiumsbeschluss - von Parteifreunden als Versuch gedeutet, den Vize abzukanzeln - hinderte Kubicki nicht, seine Äußerungen noch einmal zu wiederholen. Die Partei zeigte Nerven.

Das seriöse Erscheinungsbild litt ebenfalls. Bei den eigenen Leuten kam es nicht gut an, dass ihr Spitzenpersonal über das Ende Merkels als Kanzlerin schwadronierte. Es war dann der ausgebildete Diplomat und Außenpolitiker Alexander Graf Lambsdorff, der dazu aufrief, dies zu unterlassen. In diesem Jahr stehen zwei Landtagswahlen an: in Hessen und Bayern. Mindestens zwei Gelegenheiten für die FDP, doch noch ihren Gestaltungswillen zu bekunden. Wenn es nicht auch noch im Bund zu Neuwahlen kommt.

Lindner sieht keinen Anlass, an seiner Politik etwas zu korrigieren. "Es gibt keinen Grund, in irgendeiner Weise am Kurs der Partei etwas zu verändern", sagte er der Süddeutschen Zeitung. "Wir setzen bei den Wahlen in Hessen und Bayern auf Angriff. Wenn die Konstellation passt, regieren wir. Sonst gehen wir in die Opposition." Er ist überzeugt, das Nein zu Jamaika im Bund werde die Partei stärken.

Nach dem Einbruch stabilisiert sich die Lage, vermelden Lindners Strategen

Die Lindner-FDP ist ein Reißbrett-Produkt, vom Parteichef und seinen Mitarbeitern als Machtmaschine konzipiert. Wie im Labor begutachteten ihre Chefmechaniker nach jener Novembernacht, welchen Schaden die FDP genommen hatte. Am Anfang stand das Entsetzen: Die Bürger nahmen der FDP ihre Entscheidung übel.

In Umfragen rutschte die FDP ab und landete wieder bei etwa acht Prozent wie vor der Wahl. Lindners persönliche Beliebtheitswerte brachen ein. Allmählich stabilisiert sich die Lage - so melden das Lindners Machtmechaniker. Sie räumen ein, dass die FDP Anhänger verloren habe: Jene, die früher schon die FDP nur aus taktischen Gründen, aber nicht aus Überzeugung gewählt hätten. Dafür steige der Anteil der Unterstützer, die sich fest mit der FDP identifizierten, ihr anrechneten, dass sie keine Abstriche gemacht habe. Auf diese Gruppe möchte Lindner die Zukunft aufbauen. Längst macht wieder ein griffiges Wort die Runde. Die FDP sei eben die "Haltungs-Partei".

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Quelle:
SZ vom 05.01.2018
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