Süddeutsche Zeitung

Faktencheck zum TV-Duell in den USA:Obama und Romney punkten mit Halbwahrheiten

Lesezeit: 3 min

Glatt gelogen! Oder doch wahr? Selten zuvor achtete das Publikum im US-Wahlkampf so auf den Wahrheitsgehalt wie beim TV-Duell Obama gegen Romney. "Fact Checker" erhielten breite Aufmerksamkeit. Und sie wurden fündig.

Michael König

Die Verlierer und Gewinner des TV-Duells waren schnell gefunden: Barack Obama schnitt in der Aufarbeitung überwiegend miserabel ab. Herausforderer Mitt Romney hingegen hat sich mit einem starken Auftritt ins Rennen zurückgestritten.

Die anderen großen Gewinner gingen bei der Abrechnung ein bisschen unter: die Faktenprüfer von Politifact.com, Factcheck.org, der New York Times oder auch der Washington Post. Ihre Arbeit war das große Thema an diesem Abend. Die Followerzahlen ihrer Twitterkanäle stieg kräftig an, der Hashtag " #factcheck" war lange in den trending topics. Viele US-Bürger wandten sich mit Fragen und Wünschen an die medialen Prüfinstanzen.

Selten zuvor wurde so sehr auf die Wahrheitstreue geachtet. Wie würde sich das auf das Duell auswirken? Ein Romney-Berater hatte verkündet, man werde sich "die Kampagne nicht von Fact-Checkern kaputtmachen" lassen. Und doch verzichten beide Duellanten auf dreiste Lügen, wie sie etwa Romneys Vize Paul Ryan bei seiner Antrittsrede vorgetragen hatte.

Verdrehte Tatsachen und Halbwahrheiten gab es trotzdem, zum Teil prägten sie das Duell. Eine Auswahl:

[] Die ominösen 716 Milliarden Dollar: Die Zahl wurde gleich mehrfach genannt. Romney wirft dem Präsidenten vor, zugunsten seiner Obamacare-Reform an der bestehenden Krankenversicherung für Senioren und Behinderte zu sparen. Medicare werde um 716 Milliarden Dollar gekürzt, behauptet Romney.

Faktenprüfer widersprechen: Es werde nicht an Leistungen für Kranke gespart, im Gegenteil. Ein Großteil der Einsparung komme zustande, weil Ausgaben gestrichen würden, um Krankenhäuser solvent zu halten. ( Details zu der komplexen Rechnung etwa bei factcheck.org) Die Versorgungsempfänger könnten durch die Reform dank besserer Vorsorgeleistungen sogar profitieren, sagt Obama. Die Washington Post gibt ihm recht.

[] Die Outsourcing-Unschärfe: Der Herausforderer gab sich im TV-Duell als Wirtschaftsfachmann. Besonders empört zeigte sich Romney, als Obama ihm vorhielt, Firmen die Vernichtung amerikanischer Jobs schmackhaft zu machen. "Ich war 25 Jahre im Geschäft und habe keine Ahnung, wovon Sie reden", entgegnete er. "Vielleicht brauche ich einen neuen Buchhalter."

Ja, vielleicht. Obama bezieht sich auf eine Möglichkeit für US-Firmen, Ausgaben steuerlich abzuschreiben - auch dann, wenn sie ihre Fabriken in Amerika schließen und die Jobs ins Ausland verlagern. Die Nachrichtenagentur Reuters hat im Archiv geblättert und einen Vorstoß der Demokraten gefunden, der das Schlupfloch stopfen sollte. Doch die Republikaner blockten ab.

[] Der Streit ums Defizit: Obama hält Romney vor, Amerika in den Ruin zu treiben. Die Steuersenkung des Republikaners werde Einbußen in Höhe von fünf Billionen Dollar zur Folge haben, das Staatsdefizit werde entsprechend anwachsen, kritisiert der Präsident.

Eine "Halbwahrheit" sehen darin nicht nur die Pulitzer-Preisträger von Politifact.com. Zwar hat das unabhängige Tax Policy Center nachgerechnet und für den Zeitraum von zehn Jahren wirklich Einbußen in Höhe von knapp fünf Billionen Dollar prognostiziert. Jedoch hat Romney stets versprochen, die Steuersenkungen kostenneutral zu gestalten, in dem er etwa Steuerschlupflöcher stopft.

Wie genau er das machen will, hat Romney bislang allerdings kaum verraten - deshalb hat Obama nicht ganz unrecht. Im TV-Duell verstieg sich Romney gar zu der Aussage: Wenn sein Plan nicht kostenneutral sei, dann sei es eben nicht sein Plan.

[] Die Öko-Flops: Die Republikaner stellen den Präsidenten gerne als Öko-Spinner dar, der viel Geld in grüne Verlustprojekte steckt. "You don't just pick the winners and losers - you pick the losers", hält ihm Romney im TV-Duell entgegen. Die Hälfte der grünen Investments sei gescheitert.

Tatsächlich hat Obama viel Ärger wegen Solyndra, einer Solarfirma, in deren modernen Hallen in Kalifornien sich der Präsident gern fotografieren ließ. Mehr als das: Obama bürgte für Solyndra-Schulden im Wert von 535 Millionen Dollar ( Details in diesem SZ-Artikel). Doch die Firma ging pleite, die Jobs sind weg und ein Großteil des Steuergeldes wohl auch. Es besteht Verdacht auf Subventionsbetrug.

Romneys Aussage halten die Faktenprüfer der New York Times dennoch für eine "gewaltige Übertreibung": Von mehr als drei Dutzend geförderten Firmen seien lediglich drei bankrott.

[] Obama als Jobmotor: Hat der Präsident wirklich fünf Millionen Arbeitsplätze geschaffen, wie er behauptet? Ab Februar 2010 wurden im Privatsektor tatsächlich neue Jobs geschaffen. Aber Obama ist schon seit 2009 Präsident - und da ging die Kurve zunächst dramatisch in den Keller. Insgesamt hat der Demokrat keine so erfolgreiche Bilanz vorzuweisen.

[] Obama als Schuldenkönig: Romney wirft dem Präsidenten vor, mehr Schulden gemacht zu haben als alle 43 US-Präsidenten vor ihm. Das stimmt nicht, wie Politifact schon im April herausgefunden hat. Trotzdem wiederholt Romney das Argument in der TV-Debatte. Die New York Times zeigt in einer Grafik, dass die nationale Verschuldung zum Zeitpunkt von Obamas Amtsantritt bei 10,6 Billionen Dollar lag - jetzt sind es 5,4 Billionen mehr.

[] Benzin doppelt so teuer: Die Stimmung an den Tankstellen gilt im US-Wahlkampf als wichtiger Gradmesser. Ist der Sprit teuer, ist der Amtsinhaber in Not. Romney hebt im TV-Duell darauf ab und wirft Obama vor, der Benzinpreis habe sich während dessen Amtszeit verdoppelt.

Tatsächlich kostete die Gallone im Januar 2009 durchschnittlich etwa 1,90 Dollar, derzeit sind es etwa 3,90 Dollar. Doch Marktanalysten halten den Vergleich für nicht zulässig, weil der Ölpreis damals außergewöhnlich niedrig gewesen sei. Zudem lasse Romney die Auswirkungen der Finanzkrise außer Acht. Seit Mai 2011 sei der Benzinpreis relativ stabil. ( Beim amerikanischen Amt für Energiestatistik gibt es eine interaktive Preiskurve.)

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