Süddeutsche Zeitung

Libanon:Schlacht um die Zukunft

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Parteien torpedieren die Suche des Sonderermittlers Tarek Bitar nach den Verantwortlichen für die verheerende Explosion im Hafen von Beirut. Nun will ein Staatsanwalt den unerschrockenen Richter sogar anklagen.

Von Mirco Keilberth, Tunis

Mit wenigen Worten läutete Libanons oberster Staatsanwalt die nächste Runde im Kampf um die Macht in dem krisengeschüttelten Land ein: Ghassan Oweidat kündigte am Mittwoch ein Ermittlungsverfahren gegen Richter Tarek Bitar an, den Vorsitzenden des Beiruter Strafgerichts. Zugleich verhängte er ein Reiseverbot gegen Bitar und lud ihn am Donnerstag im Justizpalast vor.

Bitar ermittelt die Hintergründe der Explosion, die im Sommer 2020 weite Teile des Hafens und der Innenstadt Beiruts verwüstete. Mindestens 2750 Tonnen Dünger und andere explosive Materialien, die mehr als sechs Jahre in Lagerhäusern des Hafens deponiert und umgeschlagen worden waren, hatten sich entzündet, vermutlich bei Schweißarbeiten.

Die ursprünglich auf dem Frachter MS Rhosus geladenen Säcke waren angeblich für Mosambik bestimmt und von libanesischen Behörden konfisziert worden. Bitar will unter anderem herausfinden, ob der von der schiitischen Hisbollah kontrollierte Hafen Umschlagplatz war für die Lieferung des hoch entzündlichen Ammonium-Nitrats nach Syrien und an radikale Gruppen.

300 000 Menschen verloren ihr Zuhause. Noch keiner wurde zur Verantwortung gezogen

Libanesische Oppositionelle machen aber auch die damalige Regierung verantwortlich für die größte nicht-nukleare Explosion der Menschheitsgeschichte, spürbar noch 240 Kilometer entfernt auf Zypern: 218 Menschen starben, 7000 kamen in Krankenhäuser, mehr als 300 000 verloren ihr Zuhause. Bisher wurde kein Entscheidungsträger zur Verantwortung gezogen für die Katastrophe vom 20. August. Schon zu Beginn seiner Ermittlungen machte Bitar keinen Hehl daraus, alle ungeschriebenen roten Linien der politischen Szene in Libanon zu ignorieren. Der 47-Jährige ist Christ, seit seiner Zeit als Richter in Nordlibanon, woher er stammt, hat er sich den Ruf der Unbestechlichkeit erworben

"Die Aufarbeitung dieses dunklen Kapitels unserer Geschichte entscheidet über unsere Zukunft", begründete der zweifache Vater seine Motivation, einen der derzeit gefährlichsten Jobs der Welt zu machen. Seit Dezember 2021 konnte er wegen des Widerstands mehrerer Parteien keine Verdächtigen verhören. Vor allem mit der Hisbollah alliierte Politiker überzogen Bitar und seine Mitarbeiter mit Rechtsbeschwerden, deren Beantwortung die notorisch überlasteten Gerichte immer wieder vertagten. Das liegt auch an der Pensionierung mehrerer Richter.

Vorladungsliste liest sich wie ein Who is Who der Mächtigen

Die Neuernennung von Richtern aber bestimmen in Libanon die Parteien in Hinterzimmern, und sie haben immer noch nicht stattgefunden. Dafür gab es mehrere Straßenproteste gegen Bitars Ermittlungen, und Hisbollah-Anführer Sayyed Hassan Nasrallah fordert immer wieder Bitars Rücktritt. Am Mittwoch hatte der Richter seinerseits genug und kündigte an, seine Zeugenvernehmungen fortzusetzen.

Seine Vorladungsliste liest sich wie ein Who is Who der Mächtigen des früheren Bürgerkriegslands, in dem sich fast alle Parteien weiter mit Milizen schützen. Vorgeladen ist etwa Mohamed Diab, der als Premier nach der Explosion einen zweiwöchigen Ausnahmezustand verhängte und dann wieder zum Alltag überging. Auch General Abbas Ibrahim, bei dem alle Stränge der parallelen Sicherheitsstrukturen der Stadt zusammenliefen, soll Bitars Fragen beantworten. Die ebenfalls geladenen Minister Ali Hassan und Ghazi Zeaiter berufen sich bisher erfolgreich auf Immunität gegenüber der Justiz. Das Innenministerium weigert sich, Bitars Haftbefehle umzusetzen. "Ich mache weiter, bis ich eine Anklage fertig habe", versprach dieser jetzt den Angehörigen der Opfer.

Doch geht es nach Staatsanwalt Oweidat, wird der erste Angeklagte im Fall Hafen-Explosion Bitar heißen. Der konterte in einem Interview mit der Agentur Reuters, Oweidat habe kein Recht, gegen ihn vorzugehen oder Verdächtige freizulassen. Für Aya Majzoub, politische Analystin und Vizedirektorin des Amnesty-International-Büros in Beirut, hat der Streit im Justizsystem eine politische Dimension. "Nun zeigt sich endlich, ob jene, die das Land im wahrsten Sinne des Wortes in die Luft gesprengt haben, ungestraft davonkommen. Oder abdanken müssen. Es ist eine Schlacht um die Zukunft Libanons", sagt sie.

Doch viele Libanesen haben sich vom Staat längst abgewendet. Auch die vor drei Jahren noch wohlhabende Mittelschicht kämpft nun ums wirtschaftliche Überleben. Die Weltbank warnt vor einem "nie da gewesenen institutionellen Vakuum, das eine Lösung der politischen Krise oder die Ratifizierung von Reformen verzögert". Ohne die harten Dollars der zahlreich ausgewanderten Libanesen wäre die Wirtschaft schon kollabiert. Mit der sozialen Spaltung zwischen Arm und Reich drohe bereits die nächste Bombe, glauben viele Libanesen.

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