Süddeutsche Zeitung

Europa:Eintracht unter römischer Sonne

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Von Daniel Brössler und Alexander Mühlauer, Rom

Im Palazzo dei Conservatori geht es ein bisschen zu wie beim Vorturnen. Einer nach dem anderen werden Europas Mächtigste aufgerufen. Einzeln treten sie nach vorne, setzen sodann ihre Unterschrift auf ein Blatt Papier und ernten dafür freundlichen Applaus. Gegen Ende ist eine Frau ganz in Gelb an der Reihe. Es ist Beata Szydło aus Polen. Sie hat den anderen ziemlich viel Ärger bereitet in letzter Zeit und noch vor wenigen Tagen damit gedroht, der Erklärung von Rom die Unterschrift zu verweigern. Das war nur ein kleines Theater fürs heimische Publikum gewesen, was die im Saal Versammelten natürlich wissen. Szydło setzt also ihren Namen unter den des Griechen Alexis Tsipras, der angeblich auch nicht recht hatte unterschreiben wollen, blickt lächelnd in die Runde der Kollegen und breitet die Armen aus, als wollte sie sagen: Seht her. Alles wird gut.

Darum geht es an diesem sonnigen Samstag in Rom. 27 Staats-und Regierungschefs haben sich zusammen mit den Häuptern aller EU-Institutionen in der Sala degli Orazi e Curiazi versammelt, wo 1957 die Römischen Verträge unterzeichnet worden sind. Vor Monaten schon begannen die Vorbereitungen für diese Jubiläumsfeier. Sie soll nach dem Brexit-Votum der Briten, nach Jahren des Streits über Flüchtlingsquoten und Euro-Rettung helfen, die Stimmung zu heben. Und siehe da: Es funktioniert. Wenn auch erst einmal nur in diesem prächtigen Saal natürlich. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker wird das später genügen, um "doch so etwas wie eine beginnende Aufbruchstimmung" zu diagnostizieren.

Der Gastgeber, Italiens Ministerpräsident Paolo Gentiloni, spricht während der Zeremonie etwas blumiger von einem Traum. Einem Traum, der wahr geworden sei. Ein Europa, das nach blutigen Schlachten zueinandergefunden habe. Ein Europa, das aber bedroht sei. Er warnt vor einem "Aufflackern des Nationalismus". Dazu brauche es Kraft - "eine Kraft, die uns die Geschichte gibt". Der italienische Premier appelliert an die Kraft der Vielfalt, die Kraft der Gesetze, Werte und Menschenrechte. Er spricht von der Kraft des Freihandels als "Gegengift gegen den Nationalismus". Was Europa jetzt benötige, sei vor allem Mut, diese Kraft auch zu entfalten. "Wir brauchen den Mut, unsere gemeinsamen Werte in den Mittelpunkt zu stellen", sagt Gentiloni.

Die Werte betont auch EU-Ratspräsident Donald Tusk, der erst kürzlich gegen den erbitterten Wiederstand der national-konservativen Regierung seiner Heimat Polen wiedergewählt worden ist. Seine Rede ist die persönlichste und vielleicht gerade deshalb die europäischste an diesem Tag. "Ich wurde vor 60 Jahren geboren, bin also genauso alt wie die Europäische Gemeinschaft", beginnt er seine Ansprache, in der er seine eigenen Lebenslinien mit denen der EU verbindet.

Ein Jahr nach der ersten Europawahl sei 1980 in seiner Heimatstadt Danzig die Gewerkschaft Solidarnosc entstanden. "Es gab damals einfache Träume: von menschlicher Würde, Freiheit und Demokratie. In dieser Zeit haben wir alle in Richtung Westen geschaut, in Richtung eines freien und sich vereinenden Europa", erinnert Tusk. Und 1987, mit Inkrafttreten des Binnenmarktes, hätten sich die Polen für die "letzte Schlacht" gerüstet. "Die Solidarnosc hat gewonnen und bald fiel die Berliner Mauer. Die Straße nach Europa öffnete sich für uns. Sein halbes Leben habe er hinter dem Eiserenen Vorhang verbracht, wo es verboten gewesen sei, von europäischen Werten auch nur zu träumen. "Das war wirklich ein Europa der zwei Geschwindigkeiten damals", sagt Tusk. Den Seitenhieb Richtung Angela Merkel will er sich offenbar nicht verkneifen. Die Bundeskanzlerin war es, die die Diskussion über verschiedene Geschwindigkeiten in der EU zuletzt befeuert hatte. Europa werde entweder einig sein oder gar nicht, warnt der Pole.

Tusks Mahnung zur Einheit fügt der Luxemburger Juncker eine weitere hinzu: die zum Frieden. Juncker erzählt vom Krieg, der Europa zerrissen hat. Es sei eben nicht normal, dass die Europäer nach den vielen Schlachten wieder in Frieden lebten. "Mein Vater und drei seiner Brüder wurden von den Nazis gegen ihren Willen in die Wehrmacht gezwungen", sagt der Kommissionspräsident. Die "Nie wieder Krieg"-Botschaft dieser Generation werde von der Jüngeren offenbar nicht mehr so verstanden. Er aber verstehe sie sehr wohl. Und deshalb will er an diesem Tag auch daran erinnern.

Merkel gibt sich selbstkritisch

Als die Zeremonie zu Ende ist, kommt einer nach dem anderen aus dem Kapitol. Die Staats- und Regierungschefs wirken gelöster als in Brüssel, wo sie sich sonst immer treffen. Das mag an der warmen Frühlingssonne liegen, die sie draußen erwartet, aber nicht nur. Es gibt an diesem Samstag in Rom nichts zu entscheiden, es geht darum, Geschlossenheit zu demonstrieren. Auch das ist nicht gerade einfach, aber an so einem runden Geburtstag muss man sich schon mal zusammenreißen können.

Angela Merkel wiederholt deshalb noch einmal jene vier Versprechen, die sich die EU für die kommenden zehn Jahre gegeben hat: ein sicheres, wohlhabendes, soziales und starkes Europa. Die Beschwörung dieser Ziele sei nötig, sagt die Bundeskanzlerin, und die Arbeitsagenda sei wichtig. Dann zitiert sie - Tusk hin oder her - nochmal den auf ihr Drängen in die Erklärung eingeflossenen Begriff eines Europas der verschiedenen Geschwindigkeiten, ohne zu vergessen, wo es hingehen soll: in eine gemeinsame Richtung.

Immerhin, ein wenig Selbstkritik übt Merkel an diesem europäischen Feiertag. "Wir haben uns Freizügigkeit erlaubt", sagt die Kanzlerin, "aber unsere Außengrenzen nicht gesichert." Auch die gemeinsame Währung müsse weiter "wetterfest" gemacht werden. Sagt es und schreitet auf dem roten Teppich davon in die römische Sonne.

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