Süddeutsche Zeitung

Euro in der Krise:Wie sich Europas Zukunft entscheidet

Lesezeit: 3 Min.

Griechenland muss raus aus dem Euro - diese Forderung hört man immer öfter. Doch auch Spanien hängt am Tropf, Italien zittert sich durch den Sommer und Frankreich scheint das nächste Krisenland zu werden. Für die Euro-Gruppe geht es ums Überleben. Würde nun Griechenland aus der Gemeinschaft geworfen, wäre das politische Signal eindeutig.

Cerstin Gammelin

Ein Schlachtruf hallt durch Europa. Er begleitet die Troika, die sich erneut auf den Weg macht, um in Athen nach dem Rechten zu sehen: Werft sie raus, wenn sie nicht liefern. Troika! Griechenland! Binnen Sekunden greift Panik um sich. Das Land braucht noch mehr Milliarden. Völlig unmöglich! Reflexartig kommt die angeblich einzig verbleibende Lösung auf den Tisch: Griechenland muss raus aus dem Euro. Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende. Aufatmen.

So wird es nicht kommen. Denn die Zukunft Griechenlands wird nicht an der Höhe von Privatisierungserlösen oder Steuerbescheiden entschieden. Griechenlands Schicksal entscheidet sich im Kontext der gesamten europäischen Schuldenkrise. Es wird eine Rechnung geben, in der die ökonomischen Kosten eines Verbleibs Griechenlands im Euro gegen den politischen Preis abgewogen werden, den die Euro-Gruppe - und vor allem Deutschland - bei einem Austritt Athens zu zahlen hätte.

Und so ist trotz aller Schlachtrufe nur eines sicher: Die Troika, also die Kontrolleure der Kreditgeber Griechenlands von Europäischer Union und Internationalem Währungsfonds, werden feststellen, dass in zehn Wochen griechischem Wahlkampfs zu viel liegen geblieben ist. Athen hat seine Auflagen nicht fristgemäß und umfänglich erfüllt. Es ist ein Loch entstanden, eine Finanzierungslücke, und dieser Fehlbetrag fließt nun in die Rechnung ein, die der Euro-Klub bis Ende des Jahres aufmachen muss. Es ist diese Gesamtrechnung, die über die Zukunft der Gemeinschaft entscheidet.

Auch Spanien hängt am Tropf

Auch in diesem Sommer kommt Europa nicht zur Ruhe, nach drei Jahren Krise herrscht hohe Nervosität. Anders als geplant ist es den Euro-Ländern in den vergangenen Wochen nicht gelungen, die Gemeinschaft zu stabilisieren - und sich wenigstens für kurze Zeit Luft zu verschaffen. Sie haben 100 Milliarden Euro für die Banken Spaniens bewilligt, sie haben Volksvertreter und Finanzminister eigens zu Sondersitzungen einbestellt - und dennoch kehrt keine Ruhe ein.

Die spanischen Finanzierungskosten steigen weiter, und niemand mag mehr ausschließen, dass Madrid in den nächsten Wochen nochmals an die Tür des Euro-Rettungsfonds EFSF klopfen muss, um neue Hilfen für den Haushalt zu beantragen. Damit stünde die viertgrößte Volkswirtschaft der Euro-Zone unter Kuratel.

Und dann Italien: Das Land zittert sich durch den Sommer. Am Ende dieser Woche muss Rom neue Staatsanleihen ausgeben, und keiner kann vorhersagen, wie teuer es dieses Mal werden wird. Im Oktober steht der eigentliche Test an. Dann muss Italien 37 Milliarden Euro refinanzieren, allein oder mit Hilfe der Euro-Partner - wobei diese bis dahin den Euro-Rettungstopf erst einmal wieder auffüllen müssen. Der ist nämlich nach der Spanienhilfe beinahe leer.

Hinzu kommen die politischen Ungewissheiten. Wer folgt im Frühjahr der Technokraten-Regierung von Mario Monti? Würde der Euro-Fonds überhaupt ausreichen, um neben Spanien auch Italien, also der drittgrößten Volkswirtschaft, vorübergehend über die Runden zu helfen? Erschwert werden die Berechnungen durch schlechte Nachrichten aus Frankreich: Die Neuverschuldung liegt dort höher als erwartet, die Autohersteller verkaufen zu wenig, die Banken hängen stark von der heimischen Prosperität ab.

Und wäre das alles nicht genug, liegt das Herzstück der Euro-Rettung, der permanente Euro-Rettungsfonds ESM, in den Händen des Bundesverfassungsgerichts. Die Richter entscheiden, wie es weitergeht mit Europas Zukunft. Für Italien und Spanien hat diese Unsicherheit direkte Folgen: Die Investoren preisen sie ein, wenn sie Staatsanleihen kaufen - weshalb beide Länder höhere Zinsen bieten müssen.

Europa kämpft ums Überleben

Spanien. Italien. Frankreich. ESM. Für die Euro-Gruppe geht es ums Überleben. Die Gemeinschaft der Euro-Staaten muss glaubhaft machen, dass sie zusammenstehen will - und wird; dass die gemeinsame Währung für alle Länder mehr Vorteile bringt, als wenn in Lira, Francs, Drachmen oder D-Mark gezahlt würde; und dass alle Länder bereit sind, einen Preis für die Gemeinschaft zu zahlen - auch Deutschland.

Würde Griechenland in dieser Zeit aus der Gemeinschaft geworfen, wäre das politische Signal eindeutig: Die Währungsgemeinschaft soll nicht beisammenbleiben. Wer könnte dann noch glaubwürdig versichern, dass nicht bald Portugal, oder sogar Spanien und Italien folgten? Griechenlands Probleme machen nur den Bruchteil der Sorgen in Euro-Europa aus. Ein Austritt würde die Probleme nicht lösen, aber das Misstrauen stärken. Die übrigen Krisenstaaten würde dieses Misstrauen umgehend zu spüren bekommen.

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Quelle:
SZ vom 24.07.2012
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