Süddeutsche Zeitung

EU und Türkei:Keine Freunde, aber Partner

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Von Thomas Kirchner, Brüssel

Grundzüge einer neuen Partnerschaft

Beim Versuch, den Zustrom von Flüchtlingen nach Europa einzudämmen, setzt die EU auf die Türkei als Partner - ein Land, von dem sie sich in den vergangenen Jahren politisch entfremdet hat. Vor dem Besuch des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan an diesem Montag in Brüssel zeichnet sich die neue Partnerschaft in Grundzügen ab: Ankara ist bereit, die Grenze zu Griechenland besser zu sichern, damit sich weniger Flüchtlinge auf den Weg nach Mitteleuropa machen können. Dafür zahlt die EU viel Geld und kommt Ankara bei anderen Wünschen entgegen. So stellt sie in Aussicht, die Visumpflicht für Türken schon vor dem bisher avisierten Termin 2017 aufzuheben. Die Türkei ist EU-Beitrittskandidat, allerdings liegen die Beitrittsverhandlungen faktisch auf Eis.

Erdoğan spricht in Brüssel mit den Spitzen von Parlament, Rat und Kommission der EU, Martin Schulz, Donald Tusk und Jean-Claude Juncker. EU-Kreise bestätigten einen Bericht der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, wonach die Europäer einen Aktionsplan präsentieren werden. Er sieht vor, auf türkischem Boden sechs neue Lager für bis zu zwei Millionen Menschen zu errichten. Die EU will diese Lager mitfinanzieren. Dafür plant die Kommission 250 Millionen Euro aus dem EU-Haushalt ein und hofft, noch einmal so viel von den Mitgliedstaaten und den UN zu erhalten. Das Geld soll zusätzlich zu der Milliarde Euro fließen, mit der die EU die Türkei in diesem und im kommenden Jahr unterstützt. Um die gefährliche Flucht über das Meer zu stoppen, sollen bis zu 500 000 Flüchtlinge aus den Lagern direkt in die EU umgesiedelt werden. In der Türkei leben zwei Millionen syrische Flüchtlinge.

An einer Einigung bestehen noch Zweifel

Im Gegenzug würde sich die Türkei bereit erklären, an der Seegrenze künftig gemeinsam mit der griechischen Küstenwache zu patrouillieren, koordiniert von der EU-Grenzschutzagentur Frontex. Dabei sollen Schleuser abgefangen und Flüchtlinge in die Türkei zurückgebracht werden. Über die Ägäis sind in diesem Jahr 350 000 Flüchtlinge in die EU gekommen. Zusätzlich erwartet die EU, dass die Türkei ihren Arbeitsmarkt für Flüchtlinge öffnet.

In den EU-Kreisen wurden Zweifel geäußert, dass man sich an diesem Montag einige. Von Erdoğan werde viel verlangt. Die christdemokratische Fraktion im EU-Parlament warnte davor, der Türkei zu weit entgegenzukommen. "Wir dürfen uns von Präsident Erdoğan nicht unter Druck setzen lassen", sagte Fraktionschef Manfred Weber (CSU). Bei den Beitrittsverhandlungen brauche es "mehr Ehrlichkeit und eine grundsätzliche Klärung, damit Enttäuschungen verhindert werden. Eine EU-Vollmitgliedschaft der Türkei kann nicht weiter unser Ziel sein."

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Quelle:
SZ vom 05.10.2015
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