Süddeutsche Zeitung

EU-Staaten:Machtlos gegen Russlands Propaganda

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Von Daniel Brössler

Die Ukraine? Gibt es gar nicht. Jedenfalls nicht als Staat mit eigener Existenzberechtigung. "Projekt Ukraine" heißt ein Film, der am vergangenen Donnerstag im russischen Staatssender Rossija 1 zu sehen war. Die ukrainische Nation, erfuhren Millionen Zuschauer, sei eine Erfindung westlicher Geheimdienste. Aus den "Russen, die im Südwesten Russlands leben", sei eine "eigene Ethnie" gemacht worden.

Propaganda dieser Art, alltäglich im russischen Fernsehen, soll nicht länger unbeantwortet bleiben. Darauf jedenfalls haben sich, ganz prinzipiell, die Außenminister der Europäischen Union verständigt. "Es geht darum, den Lügen entgegenzuwirken, die wirklich immer mehr werden. Wir müssen aktiver sein. Wir müssen mehr alternative Informationsquellen schaffen", sagte der litauische Außenminister Linas Linkevičius am Montagabend nach einer Diskussion der Minister über den künftigen Umgang mit Russland.

"Objektivität ist ein Mythos. Unser Land braucht aber Liebe"

In einem Brief an EU-Chefaußenpolitikerin Federica Mogherini hatte er zuvor bereits zusammen mit den Kollegen aus Großbritannien, Dänemark und Estland die Suche nach "glaubwürdigen und konkurrenzfähigen Informationsalternativen für die russischsprachigen Bevölkerungen" gefordert. Gemeint sind keineswegs nur die Menschen in Russland selbst, sondern die starken russischsprachigen Minderheiten etwa in den EU-Ländern Estland und Lettland. Die lettische EU-Präsidentschaft hat für sie ein paneuropäisches Fernsehen in russischer Sprache ins Gespräch gebracht.

Das aber stößt auf Vorbehalte. Zum einen wegen der hohen Kosten für einen professionellen Fernsehsender. Zum anderen aber auch aus grundsätzlichen Erwägungen. Die demokratisch verfasste EU dürfe sich nicht auf Gegenpropaganda einlassen, warnte der slowakische Außenminister Miroslav Lajčák. Dabei sieht auch er die EU unter Handlungsdruck. "Fakt ist, dass Russland den Informationskrieg gewonnen und die EU ihn verloren hat", stellte er fest.

Was Lajčák so drastisch beschreibt, ist ein Phänomen, das in der EU mit Sorge zur Kenntnis genommen wird: Während es in Russland so gut wie unmöglich geworden ist, gegen antiwestliche Kampagnen anzukommen, propagiert der Kreml im Westen mit enormem Aufwand und nicht ohne Erfolg seine Sicht der Dinge. Geschaffen wurde zu diesem Zweck die Holding Rossija Segodnja, in der die Agentur Ria Nowosti und der Radiosender Stimme Russlands aufgingen. Chef ist der Journalist Dmitrij Kisseljow, der seinen Leuten als Leitlinie auftrug: "Objektivität ist ein Mythos, den man uns aufzwingt. Unser Land braucht aber Liebe."

In 34 Ländern und 30 Sprachen verbreitet Moskau seine eigene Wahrheit

Unter der Marke Sputnik wird diese Liebe nun in die Welt getragen - in 34 Länder und in 30 Sprachen, wie im November angekündigt wurde. Ausgebaut wird auch das Fernsehprogramm Russia Today (RT), das auf Englisch, Spanisch und Arabisch und neuerdings im Internet auch ein wenig auf Deutsch sendet. Für 2015 ist sowohl der Etat von RT als auch von Rossija Segodnja noch einmal deutlich aufgestockt worden.

Ziel der russischen Propaganda sei gar nicht, eine bestimmte Lesart durchzusetzen, sondern totale Verwirrung zu stiften, glaubt der amerikanische Historiker und Ukraine-Kenner Timothy Snyder. In einem Vortrag in Chicago erklärte er das so: "Sie haben gehört, dass es keinen ukrainischen Staat gibt. Und Sie haben gehört, dass der ukrainische Staat sehr repressiv ist. Sie haben gehört, dass es keine ukrainische Nation gibt. Und Sie haben gehört, dass alle Ukrainer Nationalisten sind. Sie haben gehört, dass es keine ukrainische Sprache gibt. Und Sie haben gehört, dass die Russen gezwungen werden, Ukrainisch zu sprechen." Die russische Propaganda wolle gar keine Wahrheiten verbreiten, sondern nur den Glauben daran erschüttern, dass es so etwas wie eine Wahrheit geben könnte.

"Wir machen keine Gegenpropaganda", sagte die EU-Außenbeauftragte Mogherini nach dem Ministertreffen. "Wir können aber an Informationen arbeiten, die die Propaganda kontern." Der Auswärtige Dienst soll nun Vorschläge ausarbeiten.

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Quelle:
SZ vom 21.01.2015
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