Süddeutsche Zeitung

EU-Kommission:Schneller Umbau

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Ursula von der Leyen wählt die Irin Mairead McGuinness als Zuständige für die Kapitalmärkte und den Letten Valdis Dombrovskis für den Handel.

Von Karoline Meta Beisel und Björn Finke, Brüssel

Die Erklärung, die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Dienstag verlas, war kürzer, als mancher erwartet hatte: Sie werde dem Rat der Mitgliedstaaten und dem Parlament Mairead McGuinness, derzeit Vizepräsidentin des Europaparlaments, als neue irische Kommissarin vorschlagen. Sie soll für Finanzdienstleistungen und Kapitalmärkte zuständig sein. Das begehrte Handelsportfolio werde Valdis Dombrovskis übernehmen, ein lettischer Christdemokrat und Stellvertreter von der Leyens. Sie danke dem zweiten irischen Kandidaten für seine Bewerbung. "Ich wünsche ihm alles Gute für seine Zukunft." Und Abgang. Der Auftritt dauerte keine zwei Minuten.

In Brüssel hatten viele mit deutlich größeren Umbauten in der EU-Kommission gerechnet. Die Umbesetzung wurde nötig, weil der bisherige irische Handelskommissars Phil Hogan zurückgetreten ist. Der hatte in seiner Heimat erst gegen Corona-Regeln und danach gegen die politischen Anstands-Regeln verstoßen, das Ganze wenigstens sofort und umfassend zuzugeben. Die irische Regierung schlug zwei Ersatzkandidaten vor - und hoffte, das Handelsressort zu behalten. Vergebens: Mit der Umverteilung der Aufgaben in ihrer Kommission zeigt von der Leyen, dass sie sich nicht von den Mitgliedstaaten diktieren lassen will, wer in ihrer Mannschaft welche Themen übernimmt.

Dombrovskis ist einer von drei geschäftsführenden Vizepräsidenten der Kommission, gehört also zu von der Leyens Top-Riege. Der 49-Jährige ist bislang für Wirtschafts- und Währungspolitik sowie Finanzmarkt-Regulierung zuständig. Den Finanzmarkt-Bereich gibt er an McGuinness ab, bleibt aber für den Euro verantwortlich und erhält das Handelsportfolio obendrauf. Handel ist eins der wichtigsten Ressorts, weil die Kompetenzen hier in Brüssel liegen: Die Kommission handelt Abkommen aus, die Zölle abschaffen - oder im Falle Großbritanniens deren Einführung verhindern sollen. Der oft spröde wirkende Lette wird sich direkt dem Handelsstreit mit den USA widmen müssen und den stockenden Gesprächen mit China über ein Investitionsschutzabkommen.

Dass von der Leyen McGuinness ausgewählt hat und nicht den anderen irischen Kandidaten Andrew McDowell, ist keine Überraschung. Die 61-jährige Politikerin der christdemokratischen Partei Fine Gael genießt in Brüssel hohes Ansehen. Schon als 2016 ein Nachfolger für Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD) gesucht wurde, war sie Mitfavoritin. Die studierte Agrarökonomin und frühere Journalistin gilt als quer durch die Fraktionen bestens verdrahtet. Dass sie sich mit von der Leyen auch persönlich gut versteht, konnte man bei deren Wahl zur Kommissionspräsidentin im vergangenen Sommer sehen: McGuinness war die dritte Abgeordnete, die ihrer Parteikollegin nach der knappen Abstimmung gratulierte.

Ein zusätzlicher Pluspunkt: In McGuinness kommt von der Leyen der angestrebten Geschlechtergerechtigkeit in der Kommission so nahe, wie das bei einer ungeraden Zahl möglich ist. Künftig sitzen in der EU-Kommission dreizehn Frauen und vierzehn Männer am Tisch.

Irland mag den Zugriff auf das Handelsportfolio verloren haben, baut aber seinen Einfluss auf die Finanzmarkt-Regulierung aus. Und die ist wichtig für die irische Regierung. Schließlich ist Dublin ein bedeutender Finanzplatz, der auch vom Brexit und der Abwanderung britischer Bankerjobs profitieren dürfte. Pikanterweise fällt es nun in McGuinness' Aufgabenbereich, zu entscheiden, ob die britischen Regeln für Banken und Versicherer gleichwertig zu EU-Standards sind - und wie einfach oder schwer Londons Finanzkonzerne in der EU Geschäfte machen dürfen. Der Generaldirektor der Kommissionsabteilung für Finanzmärkte ist ebenfalls Ire: John Berrigan. Normalerweise ist es Usus, dass Kommissar und Direktor der ihm unterstellten Abteilung nicht derselben Nationalität angehören sollen. Doch das gelte vor allem dann, wenn während der laufenden Amtszeit einer EU-Kommission die Stelle im Beamtenapparat neu besetzt werde, sagte ein Sprecher der Behörde am Dienstag. Jetzt sei es genau andersherum.

Bis McGuinness und Dombrovskis ihre neuen Ämter antreten können, dürfte aber noch Zeit vergehen. Erst müssen der Rat der Mitgliedstaaten und das EU-Parlament die Personalien bestätigen, und gerade das mehrstufige Berufungsverfahren des Parlaments ist aufwendig. Zunächst prüft der Justizausschuss, ob Interessenskonflikte vorliegen könnten. Das wird wohl nicht vor Mitte Oktober möglich sein. Danach beginnen die Anhörungen in den zuständigen Fachausschüssen, bevor am Ende das Plenum des Parlaments sein Placet geben muss. Es könnte also November werden, bis von der Leyen wieder mit 26 Kommissaren an einem Tisch sitzt.

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SZ vom 09.09.2020
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