Ermittlungen wegen Geheimnisverrats:Wie der Verdacht auf den "General" fiel
Lesezeit: 3 Min.
Von Hans Leyendecker, München
Wenn Staatsanwälte von ihrem "General" reden, dann meinen sie nicht einen hohen Offizier, sondern ihren Generalstaatsanwalt. Er ist der Chef aller Staatsanwälte in seinen Bezirken. Er hat Weisungsbefugnis. Ob er sie einsetzt oder nicht, ist eine andere Sache.
Der "General" hat noch einen Höheren über sich - einen Justizminister oder eine Justizministerin. Im Landtag zu Hannover hat sich am Freitag etwas Unerhörtes begeben, das in der Geschichte der Generalstaatsanwälte in Deutschland einmalig ist. Justizministerin Antje Niewisch-Lennartz (Grüne) gab bekannt, dass die Staatsanwaltschaft Göttingen, die zum Bezirk des Braunschweiger Generalstaatsanwalts gehört, ein Ermittlungsverfahren wegen Verdachts der Verletzung von Dienstgeheimnissen gegen den Celler Generalstaatsanwalt Frank Lüttig eingeleitet habe.
Monatelange Ermittlungen gegen Unbekannt
Lüttig werde vorgeworfen, als Ex-Leiter der Strafrechtsabteilung im Niedersächsischen Justizministerium sowie als Generalstaatsanwalt "in acht Fällen in strafbarer Weise Geheiminformationen an Dritte weitergegeben zu haben". Sieben Fälle beträfen Informationen aus dem Verfahren gegen den Ex-Bundespräsidenten Christian Wulff. Ein Fall betreffe das laufende Verfahren gegen den Ex-Bundestagsabgeordneten Sebastian Edathy. Lüttig war im Mai 2012 "General" geworden.
Sie sei sich, erklärte Niewisch-Lennartz, der Bedeutung ihrer "Erklärung vor dem Hohen Haus sehr bewusst". Aber auch in diesem Fall gelte die Unschuldsvermutung.
Monatelang hatten die Strafverfolger in Göttingen ein Verfahren gegen Unbekannt geführt. Und vor kurzem bekam es einen Namen: Lüttig. Auch gegen einen zweiten Beschuldigten wird ermittelt, aber dessen Namen wollen derzeit "aus ermittlungstaktischen Gründen" weder Justizministerium noch die Staatsanwaltschaft nennen.
Das Wulff-Verfahren, um das es im Wesentlichen geht, war in vielfacher Hinsicht ungewöhnlich. Es gab einen Ermittlungsexzess, den man auch als Verfolgungssucht beschreiben kann. Am Ende ging es gerade um 750 Euro und Lüttig fand die Ermittlungen dennoch angemessen.
Ungewöhnliches Verhalten des "Generals"
Er erklärte, die 30 000 Seiten Akten, die eine Million Dateien, die Einzelheiten von 45 Bankkonten und die Durchsuchungen in etlichen Häusern, Wohnungen, Büros stellten "eine lückenlose und sehr plausible Kette von Beweisen" für die angebliche Bestechlichkeit des ehemaligen niedersächsischen Ministerpräsidenten dar. Von den etwa zwei Dutzend Beamten sei "kein exzessiver" Aufwand betrieben worden.
Ungewöhnlich an dem Verhalten von Lüttig war, dass er vor und während des Strafprozesses gegen Wulff, der mit einem Freispruch endete, so tat, als gäbe es an dessen Schuld keine Zweifel. Es seien "schon Mörder verurteilt worden, obwohl keine Leiche gefunden wurde", betonte er.
Fassungslos registrierte nicht nur Wulff, der sich in diesen Tagen in Marokko aufhält, dass der Generalstaatsanwalt, der die Dienstaufsicht über die Staatsanwaltschaft Hannover hat, übergriffig wirkte.
Zwar seien Details aus vertraulichen Ermittlungsakten nach draußen gelangt, sagte Lüttig, aber es "gebe keinen Hinweis, dass Informationen von den Ermittlungsbehörden durchgesteckt wurden". Zum Kreis möglicher Informanten gehörten die Verteidiger. Die Strafverfolger jedenfalls hätten sich "bemüht, keine Informationen nach draußen dringen zu lassen".
Was da ablief, hat den Bonner Juristen Gernot Fritz dazu gebracht, im vergangenen Jahr eine Strafanzeige wegen des Vorwurfs der Verletzung des Dienstgeheimnisses auf den Weg zu bringen, die er im Zuge von Recherchen immer weiter präzisierte.
Fritz, der im Verfassungsrecht bei Fritz Ossenbühl promoviert hat, ist ein konservativer Mann. Er ist Reserveoffizier, war Syndikusanwalt bei einem Unternehmerverband und stellvertretender Chef des Bundespräsidialamtes, als Roman Herzog Staatsoberhaupt war. Er kennt Wulff nicht persönlich; er hat über Rechte und Pflichten des Bundespräsidenten geschrieben.
Die Behandlung des Falles Wulff durch die niedersächsische Justiz hat Fritz auf die Barrikaden getrieben. Er hat all die Ungereimtheiten, all die Spuren zusammengetragen und über allem stand seine Vermutung, dass die Verteidiger wohl nicht die Informanten gewesen sein könnten. Alle wesentlichen Enthüllungen während der Ermittlungen zielten auf Wulff, schadeten Wulff. Cui bono?
Nun kann die Frage, wer Quelle ist, nicht immer nach den Regeln sittenstrenger Römer beantwortet werden. Aber im Fall Wulff war es wohl so. Wem sollten die Enthüllungen nützen? Wulff wohl nicht: Jedes Wochenende wurde er wieder vor die Wand geführt.
Fritz hat die Staatsanwaltschaft Göttingen auf eine wichtige Spur gebracht. Ein Schreiben aus den Februartagen 2012, das nur dem Justizministerium und möglicherweise der Staatsanwaltschaft vorlag, soll frühzeitig an Medien gelangt sein, die Wulff verfolgten.
Auch hatte ein Mann aus dem bayerischen Eching im Frühsommer 2013 einer Strafanzeige wegen Geheimnisverrats eine Kopie dieser vertraulichen Korrespondenz beigefügt, die er angeblich von einem Journalisten bekommen hatte. Er bekam 2013 Besuch von Fahndern aus Hannover und aus Bayern, die einen Durchsuchungsbeschluss vom Amtsgericht Hannover dabei hatten. Die Strafverfolger nahmen die Dokumente mit.
Der Ministerialdirektor a.D. Fritz findet es "pikant", dass gegen jemanden, der den Fall aufklären wollte, ein Durchsuchungsbeschluss erwirkt worden war, "während die durch die beschlagnahmten Dokumente belasteten" Personen unbehelligt geblieben seien.