Süddeutsche Zeitung

Einwanderungsgesetz:Ein gewaltiger Sprung für die CSU

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Die CSU ist zur Regelung der Einwanderung bereit: mit einem kleinen Willkommenspapier. Es ist fast so, als tränke der Teufel Weihwasser.

Kommentar von Heribert Prantl

Horst Seehofer zeigt, dass er etwas kann, was ihm kaum einer zugetraut hatte: Er kann über seinen Schatten springen. Sein Ministerium hat die Eckpunkte für ein Gesetz zur "Fachkräfteeinwanderung aus Drittstaaten" vorgelegt. Das Papier kam so verschämt und verhuscht, so still und leise daher, dass man seine geschichtliche Bedeutung kaum spürte. Aber es ist dies ein kleines Willkommenspapier für Einwanderer. Es ist ein kleiner, aber wichtiger Schritt für die deutsche Migrationspolitik; und es ist ein gewaltiger Sprung für die CSU.

Der Inhalt ist zwar nicht berauschend; es fehlt noch vieles, was wichtig wäre - zum Beispiel die Möglichkeit für qualifizierte Flüchtlinge, vom Asylverfahren ins Einwanderungsverfahren zu wechseln. Aber über dem Papier steht das Wort, das bisher bei der CSU, lange auch bei der CDU, verpönt und verboten war: das Wort "Einwanderung". Die Union hat jahrzehntelang mit dem Satz "Deutschland ist kein Einwanderungsland" Wahlkampf gemacht. Dieser Satz erhält nun eine Beerdigung dritter Klasse.

Deutschland könnte schon viel weiter sein

CSU und CDU werden damit nicht zur Migrationsunion. Aber es ist dies, vielleicht, ein Einstieg in die Realität, der wohl auch dem Drängen der Wirtschaft zuzuschreiben ist. Es ist fast so, als tränke der Teufel Weihwasser. Bisher hat zumal die CSU alles verhindert, was Einwanderung oder Zuwanderung hieß oder auch nur danach roch.

Hätte die Union das Jahrhundertgesetz zu Migration und Integration, das die rot-grüne Koalition am Jahrhundertbeginn im Bundestag beschlossen hatte, damals nicht im Bundesrat blockiert - Deutschland wäre bei der Steuerung und Regelung der Einwanderung sehr viel weiter als heute. Eine Kommission unter Leitung der früheren Bundestagspräsidenten Rita Süssmuth (CDU) hatte die Einwanderungsregeln ausgearbeitet. Süssmuth wurde von ihrer Union deswegen wie eine Dissidentin behandelt. Wäre man ihr gefolgt - Deutschland und die Union hätten sich Gequäle, Gewürge und Gemeinheiten erspart.

Im Vermittlungsausschuss blieb 2003 von dem fein ziselierten Projekt nur noch die Hülle übrig. Aus einem Zuwanderungsgesetz wurde ein albernes Begrenzungsgesetz, das auf dem Anwerbestopp und einer "Anwerbestopp-Ausnahmeverordnung" basierte; das war ein bezeichnender Name. Das Ausländerrecht blieb ein Irrgarten.

Die SPD hat der CSU das Gesetz abgetrotzt

Nun endlich erklären sich also CDU und CSU bereit für ein Gesetz zur Einwanderung von Fachkräften, Seehofers Ministerium schreibt das Gesetz. Es gibt keine andere Materie, die so lange auf eine gesetzliche Regelung warten musste: Der Beginn der Anwerbung polnischer Arbeitskräfte im deutschen Kaiserreich ist 140 Jahre her. Der Beginn der Anwerbung von Gastarbeitern in der Bundesrepublik ist 54 Jahre her. Und das Projekt "Zuwanderung gestalten" der Süssmuth-Kommission ist 18 Jahre her. Endlich sträuben sich CSU und CDU nicht mehr grundsätzlich dagegen - dass Deutschland die Einwanderung von Fachkräften braucht und dass diese gut geregelt werden muss.

Das ist eine sehr späte Erkenntnis. Die SPD hat sie der CSU im Flüchtlingskompromiss abgetrotzt (so wie sie ihr in der vergangenen Legislaturperiode den Mindestlohn abgetrotzt hat). Seehofer hat sich an die Vereinbarung gehalten. Um es mit Bert Brecht zu sagen: Darum sei auch die SPD bedankt, sie hat es ihm abverlangt.

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Quelle:
SZ vom 18.08.2018
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