Süddeutsche Zeitung

Dschaber al-Bakr:Sächsischer Justizminister spricht im ZDF - und hat keine Argumente

Lesezeit: 3 min

Analyse von Benedikt Peters

Irgendwann am Donnerstag hat der sächsische Justizminister Sebastian Gemkow (CDU) eine mutige Entscheidung getroffen. Diese Entscheidung war nicht der Rücktritt vom Amt, den nach der Selbsttötung des Terrorverdächtigen Dschaber al-Bakr viele erwartet hatten. Stattdessen entschied Gemkow, das Amt in aller Öffentlichkeit zu verteidigen, vor Millionen Fernsehzuschauern.

Tagsüber war er immer weiter in die Defensive geraten. Die anfängliche Fassungslosigkeit über den inzwischen bestätigten Suizid des Terrorverdächtigen, mit dem auch wertvolle Informationen für Ermittler für immer verloren sind, war inzwischen heftiger Kritik an Gemkow gewichen.

In der Pressekonferenz danach übernahm der Justizminister zwar die politische Verantwortung für den Fall. Er trat aber nicht zurück - und signalisierte, die sächsischen Justizbeamten hätten sich gut und ganz nach Vorschrift verhalten.

Dann also das Interview im heute-journal im ZDF. Moderatorin Marietta Slomka ist für ihre äußerst kritischen Interviews bekannt, die schon so manchen Politiker in Verlegenheit gebracht haben.

Gemkows krude Argumente

Für Gemkow wäre das die Chance gewesen, auf die öffentliche Meinung einzuwirken. Viele Menschen in Deutschland haben im Laufe des Tages von dem Skandal in Sachsen erfahren, dem Skandal, den er erklärtermaßen zu verantworten hat, und schauen nun zu.

Doch Gemkow ist offensichtlich schlecht vorbereitet. Slomka fragt, Gemkow holt erst einmal tief Luft, schüttelt mit dem Kopf, stammelt hin und wieder. Vor allem aber greift er zu kruden Argumenten, etwa, als die Moderatorin wissen will, warum die sächsische Justiz nicht auf die Idee kam, ein potenzieller Selbstmordattentäter könne selbsttötungsgefährdet sein, warum er nicht dauerhaft überwacht wurde.

Gemkow antwortet:

"Wenn man zum Beispiel eine 24-Stunden-Überwachung gemacht hätte, in einer Situation, in der klar ist, dass der Gefangene durchaus auch labil werden kann, auch wenn es keine akuten Anzeichen dafür gab, dann stellt sich auch die Frage, ob eine Beobachtung, das heißt eine 24-Stunden-Beobachtung mit Licht im Haftraum, ob das nicht möglicherweise sogar eine Suizidgefährdung herbeigeführt hätte."

Der sächsische Justizminister sagt also vor Millionen Zuschauern sinngemäß: Wir wollten al-Bakr nicht dauerhaft überwachen, weil wir dachten, das würde möglicherweise dazu führen, dass er sich umbringt.

Slomka muss nur noch vorsichtig darauf hinweisen, dass al-Bakr dann ja beobachtet worden wäre und sein Suizid hätte verhindert werden können. Gemkow weiß darauf nichts zu erwidern.

Was der Justizminister hätte besser machen können

Nicht überzeugen kann er außerdem, indem er sagt, bei einem potenziellen Selbstmordattentäter handle es sich um einen "neuen Tätertypus", mit dem die sächsischen Behörden bisher nicht konfrontiert gewesen seien. Das mag stimmen, doch das entkräftet eben nicht den Vorwurf, dass man die Suizidabsicht al-Bakrs zumindest hätte in Erwägung ziehen müssen.

Der Justizminister hätte in dem Interview durchaus Gelegenheit gehabt, in die Offensive überzugehen. Zwar spitzt Moderatorin Slomka ihre Fragen rhetorisch sehr gekonnt zu - doch mitunter nennt sie falsche Fakten.

Etwa, wenn sie unterstellt, eine junge, unerfahrene Psychologin habe al-Bakr untersucht und fälschlicherweise als nicht suizidgefährdet eingestuft. Das stimmt nicht, vielmehr handelte es sich um eine erfahrene Kollegin. Diesen Punkt hätte Gemkow nutzen können, um sich als der besser Vorbereitete der beiden zu inszenieren, der Glaubwürdigere. Stattdessen ergeht er sich in umständlichen Ausführungen über das Gitter in al-Bakrs Zelle, an dem dieser sich schließlich strangulierte. Dass die Psychologin eben doch erfahren war, schiebt er erst danach wie beiläufig ein - bei vielen Fernsehzuschauern dürfte diese Botschaft nicht angekommen sein.

Offen lässt er auch den Widerspruch, wie er sagen könne, die sächsischen Justizbeamten hätten alles ihnen Mögliche getan, wo doch bei der Unterbringung al-Bakrs eben keine zusätzlichen Maßnahmen ergriffen worden sind, die seiner vermuteten besonderen Gefährlichkeit Rechnung tragen würden. Auf die entsprechende Frage Slomkas weicht er aus.

Am Morgen dann legt Gemkow mit einem Interview im Deutschlandfunk nach, auch hier sind seine Auskünfte seltsam. Der Justizminister sagt, die Mitarbeiter in der JVA, die mit al-Bakr Umgang hatten, seien nicht darüber im Bilde gewesen, wen sie vor sich hatten. Sie hätten von den Ergebnissen der Ermittlungen über einen verhinderten islamistischen Anschlag keine Kenntnis gehabt, sondern nur aus den Medien davon erfahren. Wie auf dieser Grundlage die Bewertung einer Suizidgefahr gelingen soll, sagt er nicht. Stattdessen sagt er, die Justizbeamten hätten "lege artis" gehandelt, "nach allen Regeln der Kunst" also.

Einen Rücktritt lehnt Gemkow bisher ab. Sein Chef in der sächsischen Landesregierung, Ministerpräsident Stanislaw Tillich, bestärkt ihn darin.

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