Süddeutsche Zeitung

Dienstwagen-Streit:Ulla und das Establishment

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Seit ihr Dienstwagen weg ist, reden alle über Ulla Schmidt. Seit 1990 sitzt sie im Bundestag, seit 2001 ist sie Ministerin. Ihre Karriere begann beim Kommunistischen Bund Westdeutschland.

Hermann Unterstöger

So unvorhersehbar es für Gesundheitsministerin Ulla Schmidt war, dass man ihr in Spanien das Dienstauto stehlen würde, so vorhersehbar war es, dass das halb kuriose, halb skandalöse Ereignis in sehr vielen Medien unter der Flagge "Ende einer Dienstfahrt" auf die Reise ins Sommerloch geschickt werden würde. Die Nennungen von Heinrich Bölls 1966 erschienener Erzählung nahmen signifikant zu, und wenn sich daraus auch keine Unterströmungen zwischen Schmidt und Böll ableiten lassen, so war es doch reizvoll zu sehen, wie unterschiedlich Dienstfahrten bei der einen wie bei dem anderen zu Ende gehen.

Wenn es irgendwem nicht an der Wiege gesungen war, einst über einen Dienstwagen verfügen zu können, dann der 1949 in Aachen geborenen Ursula "Ulla" Schmidt, die als Scheidungskind bei ihrer alleinerziehenden Mutter aufwuchs, einer Fabrikarbeiterin. Überhaupt sah ihr Leben zunächst ganz danach aus, als sollte es sich fern vom und in kritischer Distanz zum Establishment abspielen.

Auf ihrer Homepage steht, dass sie seit 1983 der SPD angehört. Das ist richtig, übergeht aber eine nicht uninteressante Phase ihrer politischen Menschwerdung: Bei der Bundestagswahl 1976 kandidierte sie für den Kommunistischen Bund Westdeutschland (KBW), der mit "demokratischen Forderungen" darauf abzielte, den Staatsapparat zu schwächen, andererseits aber das Bewusstsein und die Fähigkeiten der Volksmassen zu stärken. Was heute nach Politfolklore klingt, war damals nicht ohne Risiko, und in der Tat wurde Schmidt zunächst nicht in den sonderpädagogischen Schuldienst übernommen, für den sie sich qualifiziert hatte. Sie überdauerte die kleine Dürrezeit bei Woolworth in Aachen, als Assistentin des Geschäftsführers.

Seit 1990 ist Schmidt Mitglied des Bundestags. Ihre sozialpolitische Kompetenz blieb nicht lange verborgen, und auf dass daraus eine Karriere würde, bescherte ihr das in solchen Sachen äußerst findige Schicksal eine unglücklich agierende Gesundheitsministerin Andrea Fischer, die sie 2001 beerben konnte. Seitdem ist sie im Amt, einem Amt, das für den Verschleiß seiner Inhaber gemacht zu sein scheint: die Verweildauer reicht von einem halben Jahr (Fuchs) bis zu sechs Jahren (Strobel, Huber, Seehofer).

Schmidt steht jetzt im achten Jahr, und wer einen Sinn für Töne hat, glaubt aus dem nölenden, ebenso bedächtigen wie selbstsicheren Singsang ihrer Rede manchmal herauszuhören, dass es jetzt erst losgeht.

Und die literarische Anspielung, ist sie mehr als nur ein journalistischer Reflex? Bei Böll landen Vater und Sohn Gruhl vor Gericht, weil sie einen Jeep der Bundeswehr verbrannt hatten, den der junge Gruhl durch zielloses Herumfahren auf den für die Inspektion erforderlichen Tachostand hätte bringen sollen.

Bei Ulla Schmidts Dienstauto handelt es sich um keinen Jeep, sondern um einen Mercedes der S-Klasse. Kein Mensch wird behaupten, dass mit der Spanienfahrt der Kilometerstand hochgetrieben werden sollte, dafür kennt man auch das Serviceheft des Wagens zu wenig. Aber dass die Karre in gewisser Weise "verbrannt" wurde, kann man wohl sagen. Im Rückstand, wie üblich, viel Politikverdrossenheit.

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Quelle:
SZ vom 29.7.2009/mati
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