Süddeutsche Zeitung

Strategiepapier:"Damit können wir in keiner Weise zufrieden sein"

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Die Linke hat es geschafft, sich auf zwei neue Parteichefs zu einigen - ohne das übliche Kandidatengerangel. Jan Korte, Linken-Fraktionsmanager im Bundestag, stellt in einem Strategiepapier nun Forderungen für die anstehenden Wahlkämpfe.

Von Boris Herrmann, Berlin

Das große Wahljahr beginnt, und die Linke hat ein kleines Problem: Sie hat theoretisch ihre Führungsfrage zwar geklärt, aber in der Praxis kann sie damit noch nicht arbeiten. Sie ist gefangen in der eigenen Warteschleife.

Es ist ein Dilemma mit tragischen Zügen: Gerade das, was zuletzt gut lief, wird nun zum Problem. Die beiden scheidenden Vorsitzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger können es als ihren Erfolg verbuchen, dass sie einen Übergang organisiert haben, der so geräuschlos abläuft wie selten in der Geschichte dieser streitlustigen Partei. Für zwei zu vergebende Chefposten gibt es exakt zwei ernsthafte Bewerbungen: Janine Wissler und Susanne Hennig-Wellsow. Mal ausnahmsweise zwei Frauen, eine aus Hessen, eine aus Thüringen, die eine ein bisschen linker, die andere reformorientierter. Ein passenderes Spitzenduo hätte sich kaum auftreiben lassen.

So ist jedenfalls die Stimmung an der Basis, weshalb sich weitere potenzielle Bewerber gar nicht erst aus der Deckung trauten. Im Gegensatz zur CDU hat sich die Linke damit ein internes Kandidatengerangel erspart. In seiner pandemiebedingten Überlänge entpuppt sich der harmonische Übergang aber als Wettbewerbsnachteil. Wer keine Geräusche macht, wird nicht wahrgenommen.

Eigentlich müssten jetzt dringend Spitzenkandidaten bestimmt und Wahlstrategien entworfen werden. Aber allen, die das tun könnten, sind derzeit die Hände gebunden. Der Wahlparteitag soll nach zweimaliger Verschiebung nun Ende Februar stattfinden. Bis dahin wollen Kipping und Riexinger aber keine Weichenstellungen mehr vornehmen, für deren Umsetzung dann ihre Nachfolgerinnen zuständig wären. Wissler und Hennig-Wellsow können derweil noch nicht richtig anfangen, ohne sich dem Vorwurf auszusetzen, ihrer offiziellen Wahl vorzugreifen. So treibt die Linke ziemlich führungslos einer Bundestags- sowie sechs Landtagswahlen entgegen. Und einige werden allmählich ungeduldig. Jan Korte etwa, der parlamentarische Geschäftsführer der Bundestagsfraktion, sagt am Telefon: "Die zentrale Frage ist: Wie kriegen wir wieder Schwung da rein? Wie kann ich den eigenen Laden mobilisieren und motivieren?"

Soziale Frage statt grüner Themen

Ein bisschen schwungvoller könnte es mit Kortes Strategiepapier werden, das stellenweise einem Brandbrief gleicht. "Die Linke steht aktuell zwischen 7 und 8 Prozent. Damit können wir in keiner Weise zufrieden sein", schreibt Korte. Die Wahlniederlagen der jüngeren Vergangenheit seien viel zu wenig aufgearbeitet worden. "Über die politische Verantwortung dafür wurde gleich gar nicht diskutiert", heißt es in dem Papier, das der Süddeutschen Zeitung vorliegt.

Korte, 43, hatte selbst mit einer Kandidatur für den Parteivorsitz geliebäugelt, nach sorgsamer Abwägung seiner Chancen aber auf eine Kampfkandidatur gegen eine der beiden Frauen verzichtet. Das hält ihn aber nicht davon ab, weiterhin den Ton anzugeben, zumal dann, wenn es um ihn herum eher leise ist. "Konzepte haben wir tonnenweise. Woran es mangelt, ist eine Popularisierung. Wir müssen sagen, worum es geht. Und zwar so, dass es jeder versteht", sagt Korte.

In ihrem Versuch, es möglichst vielen Wählermilieus recht zu machen, etwa mit grünen Themen, habe sich seine Partei zuletzt verzettelt, so sieht Korte das. Für die anstehenden Wahlkämpfe fordert er einen klaren Kurs auf die soziale Frage. Weniger ist mehr aus seiner Sicht, deshalb reduziert er den Forderungskatalog der Linken auf vier Kernthemen, mit denen seine Partei "in die Schlacht ziehen" sollte: eine Vermögensabgabe für Milliardäre, ein Verbot von Waffenexporten, die Entprivatisierung des Gesundheitssystems sowie ein topfinanziertes Bildungssystem für alle. "Da weiß ich, damit kann man die Genossen erwärmen", sagt Korte.

Seine Ungeduld bezieht sich aber auch auf die überfällige Auswahl der Spitzenkandidaten. Für Wissler und Hennig-Wellsow verrinnt die Zeit, um sich rechtzeitig vor der Wahl als führende Köpfe der Linken in Stellung zu bringen. Deshalb rechnet sich auch Kipping noch Chancen aus, die Fraktionsvorsitzenden Dietmar Bartsch und Amira Mohamed Ali sind schon von Amts wegen im Rennen. Nach Lage der Dinge soll eine Entscheidung erst im März fallen, aber Korte mahnt in seinem Papier zur Eile. "Befindlichkeiten wurden genug ausgetauscht", steht da. Eine Bewerbung in eigener Sache soll das aber explizit nicht sein.

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