Süddeutsche Zeitung

Die Kanzlerin in der Krise:Merkel, die Getriebene

Lesezeit: 3 min

Die Kanzlerin regiert pragmatisch. Deshalb hat Angela Merkel eigentlich nichts gegen die Finanztransaktionssteuer - und trotzdem ein Problem damit.

S. Braun, P. Blechschmidt, D. Brössler und N. Fried

Angela Merkel regiert gerne pragmatisch. Auf diese Weise ist die Kanzlerin weit gekommen. Am Dienstagvormittag allerdings ist daraus ein großes politisches Problem geworden.

Und das kam so: Wochenlang hat Merkel immer wieder ihre Position bekräftigt, sie habe gar nichts gegen eine Finanztransaktionssteuer. Es sei aber nicht sinnvoll, sich dafür einzusetzen, weil sie international nicht durchsetzbar sei. Pragmatismus pur. Noch am Sonntag beim Deutschen Gewerkschaftsbund sagte die Kanzlerin: "Ich kann mühelos für die Finanztransaktionssteuer sein; das kostet mich gar nichts." Gleichwohl müsse "man sich auch überlegen: Was kannst du international auch wirklich durchsetzen?" Die Botschaft ist eindeutig: Für eine Finanztransaktionssteuer wird sich die Kanzlerin nicht engagieren.

Doch schon am Montagnachmittag reicht diese vorauseilende Untätigkeit Merkels nicht mehr, um die eigenen Reihen geschlossen zu halten. Im Fraktionsvorstand der Union spricht sich eine Mehrheit der Abgeordneten für die Finanztransaktionssteuer aus.

Tief sitzt der Schock über die Schlappe bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen und über jüngste Umfragen, in denen die Union auf die 30 Prozent zurauscht. Die Durchsetzbarkeit ist für die Abgeordneten zweitrangig, sie wollen ein Symbol, dass die Finanzbranche sich an den Kosten der Krise beteiligen muss. Irgendwie.

Am Dienstagmorgen im Koalitionsausschuss von CDU, CSU und FDP fallen dann sogar die Liberalen um, die sich bislang vehement gegen eine solche Steuer gewehrt hatten. Man verständigt sich auf eine Formulierung, wonach die Bundesregierung aufgefordert werde, sich auf europäischer und globaler Ebene für eine wirksame Finanzmarktsteuer einzusetzen.

Diese Steuer könne entweder die Finanzaktivitätensteuer sein, bei der Gewinne, Gehälter und Boni mit einer Steuer belegt werden, oder eben die Finanztransaktionssteuer, bei der einzelne Geschäfte mit einem Steuersatz von bis zu 0,5 Prozent belastet werden können.

In der FDP macht man später deutlich, dass die Liberalen nicht als Verhinderer dastehen wollten. Man sei weiter gegen eine Finanztransaktionssteuer. Wenn aber die internationale Gemeinschaft tatsächlich eine solche Steuer wolle, dann werde dies nicht an der FDP scheitern.

"Man kann sich auch lächerlich machen", wenn man gegen eine übergroße Mehrheit auf seiner Position beharre, hieß es bei den Liberalen. Man wolle sich jedenfalls nicht den Vorwurf machen lassen, "wir seien die Schutzmacht der Spekulanten".

In einem Papier des Auswärtigen Amts, das den Titel trägt "Europa, der Euro und die Märkte" und das Außenminister und FDP-Chef Guido Westerwelle am Dienstag unter Abgeordneten verteilen lässt, heißt es ebenfalls: "Der Finanzsektor muss an den Kosten der Krise beteiligt werden. Die steuerlichen Instrumente sollten unvoreingenommen geprüft werden." Selbst Westerwelle erscheint mittlerweile forscher als die Kanzlerin.

In der CSU jubilieren sie zur gleichen Zeit: Die Bayern hatten damit gedroht, dem Euro-Schutzschirm im Bundestag nicht zuzustimmen, wenn es keine Vereinbarung über eine Beteiligung der Banken an den Krisenkosten gebe. Hans-Peter Friedrich, der CSU-Landesgruppenchef, feiert die Formulierung des Koalitionsausschusses als Erfolg seiner Partei über die FDP - was nicht ganz ohne Pikanterie ist, weil zwar CSU-Chef Horst Seehofer tatsächlich schon länger für eine Finanztransaktionssteuer geworben hat, Friedrich selbst sich intern aber sehr zurückhaltend gegeben hat in der Frage.

Und die Kanzlerin? Angela Merkel kann in der Sache sogar mit dem Ergebnis leben. Ihre Präferenz für eine Finanzaktivitätensteuer bleibt bestehen, weil diese Abgabe nach ihrer Lesart nicht nur der Empfehlung des Internationalen Währungsfonds (IWF) entspricht, sondern auch weitaus bessere Chancen auf Verwirklichung hat. Noch am Sonntag beim Deutschen Gewerkschafts Bund hatte sich Merkel in dieser Hinsicht festgelegt: "Wenn der Internationale Währungsfonds eine Finanzaktivitätensteuer fordert und ich eine Chance habe, diese durchzusetzen, aber die andere (die Finanztransaktionssteuer) wahrscheinlich nicht durchsetzbar ist, dann werde ich mich für das, was ich durchsetzen kann, entscheiden."

An dieser Einschätzung hat sich bei Merkel auch am Dienstagvormittag nichts geändert. Trotzdem ist die politische Wirkung des Koalitionsausschusses für die Kanzlerin ziemlich unvorteilhaft: Angela Merkel steht jedenfalls nicht als diejenige da, die eine Positionierung der Koalition oder gar eine Einigung auf europäischer Ebene vorangetrieben hätte. Eher macht es nun den Eindruck, sie sei mal wieder Getriebene gewesen. Am Mittwoch in ihrer Regierungserklärung wird sie im Bundestag erklären müssen, warum Schutzschirme für Banken immer innerhalb von wenigen Tagen aufgespannt werden können, es aber seit Jahr und Tag nicht gelungen ist, ebendiese Banken auch mal zur Kasse zu bitten.

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SZ vom 19.05.2010
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