Süddeutsche Zeitung

Der neue US-Präsident:Im Dienst Amerikas

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Barack Obama und seine märchenhafte Geschichte: Ein Mann, der im Obdachlosenheim die Wände malert und anschließend das Weiße Haus bezieht. Und auch politisch könnte der Bruch mit Bush nicht schonungsloser sein - denn die dramatischste Botschaft des neuen Präsidenten ist, dass er seine Nation zur Selbstbescheidung aufruft.

Stefan Kornelius

Das Geheimnis des Menschenfischers ist an diesem Tag klar zu erkennen, wo sich Millionen zu seinen Ehren versammelt haben. Da ist sie zu greifen, jene Spannung, von der Barack Obama so trefflich lebt. Der Präsident als Projektionsfläche: der Schwarze in der multikulturellen Nation; der Mann aus einfachen Verhältnissen an der Spitze des Landes; Obama, der im Obdachlosenheim die Wände malert und anschließend das Weiße Haus bezieht.

Natürlich ist da der demutsvolle Obama, der nun ein machtvolles Amt ausfüllt, das eigentlich keine Zweifel zulässt. Und es tritt auf der Anti-Bush, der den Bruch mit dem Vorgänger vollzieht, wie man ihn sich radikaler nicht vorstellen kann. Der Mann lässt Amerika von vorne beginnen.

Obamas Aufstieg ist eine moderne Märchengeschichte, gespickt mit Zutaten aus dem Cybernet und der globalisierten Welt. In ihr gibt es Kenia und Honolulu, Krieg und Hoffnung, Depression und Aufstieg. Es ist eine anrührende Geschichte, in der die Naivität der Obama-Kinder als Beleg dafür dient, dass wir alle staunend vor diesem Phänomen stehen dürfen: "Erster schwarzer Präsident, hoffentlich geht das gut", sagte die Tochter.

Am meisten Spannung hat Obama mit seiner inneren Einstellung geschaffen. All seine Pathos-geladenen Worte zeugen von einer Demut, die nicht selbstverständlich ist für einen Präsidenten. Da scheint einer zuzuhören, nicht nur zu befehlen. Da scheint einer mit sich zu ringen, nicht alles bereits zu wissen.

Diese Einstellung erklärt, warum Obama zum Menschenfischer wurde, warum er ein Unterstützerheer von Millionen von Freiwilligen mobilisierte und sogar in Deutschland 200.000 Menschen auf die Straße trieb. Mach dich klein, damit andere sich groß fühlen können - das ist Obamas Führungsprinzip, das ihm zu seiner besonderen Größe verhilft.

Aufruf zur Verantwortlichkeit

Keine andere Vokabel umschreibt diesen Stil besser als responsibility, was sich nicht nur mit "Verantwortung" oder "Zuständigkeit" übersetzen lässt, sondern auch mit "Pflicht". Responsibility, der Schlüsselbegriff in Obamas Denk-Universum, steht für eine dienende Haltung, eine klassische Tugend, die so gar nicht zu Arroganz oder Machtwahn passt.

Responsibility ist Obamas Kurzfassung für den berühmten Kennedy-Satz, ebenfalls bei einer Amtseinführung vorgetragen: Frage nicht, was dein Land für dich tun kann, frage, was du für dein Land tun kannst. Mit diesem Aufruf zur Verantwortlichkeit gibt Obama die Last des Amtes zurück an die Wähler, er verteilt die Aufgaben auf viele Schultern, und er gibt der amerikanischen Politik eine neue Richtung vor.

Dieser Richtungswechsel ist die wohl dramatischste Botschaft des neuen Präsidenten. Den Bruch mit Bush vollzieht er schonungslos: "Macht alleine schützt uns nicht", sagt er, "Macht alleine berechtigt uns nicht zu tun, was wir wollen. Macht wächst, indem man sie behutsam einsetzt."

Der Pflichtmensch Obama ruft den unersättlichen Teil seiner Nation zur Mäßigung auf, zur Selbstbescheidung. Wusste nicht schon vor Bush alle Welt, dass es sich bei diesem Staat um den mächtigsten seit Rom handelte? In Sicherheit lebe dieses Amerika, wenn seine Sache gerecht sei, sagt der Präsident, der mit einem Satz die Doktrin der vergangenen Jahre wegwischt: "Es ist falsch, wenn wir wählen müssen zwischen Sicherheit und unseren Idealen."

Responsibility steht für eine dienende Haltung. Und so stellt sich da einer in den Dienst seines Volkes, obwohl er doch an der Spitze dieser Menschen steht und von ihnen bewundert und getragen wird. Obamas Machtdemonstration war an diesem 20. Januar auf der Mall in Washington zu sehen, wo sich Millionen in die Pflicht nehmen ließen. Wer so viel Begeisterung und freiwillige Gefolgschaft generiert, der macht es den Gegnern Amerikas schwer. Das Feindbild USA, von vielen lustvoll geschürt und von Terroristen brutal ausgebeutet, wird von heute an nicht mehr so leicht funktionieren.

Magnetismus Amerikas wieder aktiviert

Amerikas Schwäche war nämlich nicht nur George W. Bush und seiner Kamarilla geschuldet, sondern einer Geisteshaltung, die sich im ganzen Land breit gemacht hatte: einem imperialen Größenwahn, einem Machtrausch, der nicht mal Platz für Freunde ließ. Das Land hatte dadurch erst seine Anziehungskraft verloren.

Obamas größte Leistung besteht bisher darin, dass er mit dem Tag der Amtseinführung diesen Magnetismus wieder aktiviert hat. Plötzlich schauen Menschen in aller Welt wohlwollend auf Amerika, auf diese positive und dynamische Gesellschaft, die so viel Freiheit erlaubt. Die Millionen bei der Amtseinführung auf der Mall und der Präsident mit seinen Worten haben das Feindbild Amerika geschliffen und damit das Land weniger angreifbar gemacht.

Die Eidesformel - das Amt ehrenvoll zu führen und die Verfassung des Landes zu bewahren, zu schützen und zu verteidigen - beschreibt, wofür Barack Obama nun die Zuständigkeit trägt. Bisher hat der neue Präsident dieses Versprechen mit großen Vokabeln gefüllt: Vertrauen, Hoffnung, Wandel und eben responsibility. Ein verantwortungsbewusstes Amerika - das kann Barack Obama vom ersten Tag an garantieren. Seinem Land und der Welt hätte er damit schon einen wichtigen Dienst erwiesen.

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SZ vom 21.01.2009/ihe
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