Süddeutsche Zeitung

"Unteilbar"-Demonstrationen:Neun Kilometer Protest

Die Veranstaltungen in vielen deutschen Städten an diesem Sonntag zeigen, dass der Widerstand gegen Rassismus mit Pandemie-Regeln nicht kollidieren muss.

Von Kristiana Ludwig, Berlin

Die Zeiten haben sich geändert. Wie sehr, das zeigte auch ein ruhiger Sonntagnachmittag in Berlin, an dem mehrere Tausend Menschen gegen Rassismus, soziale Ungerechtigkeit und für den Klimaschutz auf die Straße gingen - und zwar an vielen Orten im Stillen. Während sich im Herbst 2018 unter der Überschrift "Unteilbar" noch mehr als 200 000 Menschen mit Musik- und Lautsprecherwagen durch die Hauptstadt geschoben hatten, passten die Teilnehmer desselben Bündnisses nun ihren Protest dem Infektionsschutz an.

Statt zu marschieren bildeten die Demonstranten auf einer Strecke von rund neun Kilometern eine Menschenkette und hielten dabei meist mehrere Meter Abstand zueinander. Die Veranstalter, ein Bündnis aus 130 Initiativen und Gruppen, hatten bunte Bänder verteilt, die Demonstranten zwischen sich aufspannten - und sie riefen in Lautsprecherdurchsagen dazu auf, Mundschutz zu tragen.

Auch der Anlass des Protests war spürbar aktuell. Mit ihren Transparenten nahmen viele Protestierende auf die "Black Lives Matter"-Bewegung in den USA Bezug. Lautsprecher, die entlang der Strecke postiert waren, übertrugen Reden, in denen Teilnehmer "rassistische Strukturen" in der Gesellschaft und Gewalt gegen Menschen mit dunkler Hautfarbe verurteilten.

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Außerdem sprachen mehrere Redner über Ungerechtigkeiten, die durch die Coronakrise entstanden seien. Bestehende soziale Probleme seien durch die Pandemie und die Wirtschaftskrise noch verschärft worden, hieß es. Über die Tonanlage übertrugen die Veranstalter auch Redebeiträge aus anderen Städten. Denn in Hamburg, Leipzig, Erfurt, Chemnitz, Plauen, Freiburg, Münster, Geislingen, Passau und Detmold hatte das Bündnis ebenfalls Proteste organisiert.

Teilnehmer verzichteten auf Gesänge oder Rufe

Die Vertreter aus Kultur, Politik, Zivilgesellschaft, Migrantenorganisationen und Religionen forderten außerdem bessere Arbeitsbedingungen für alle, sicheren Wohnraum, eine humanere Flüchtlingspolitik, eine gerechtere Steuerpolitik sowie Klimagerechtigkeit. An vielen Stellen der Berliner Menschenkette lauschten die Teilnehmer diesen Ausführungen und verzichteten auf Gesänge oder Rufe.

Im Vorfeld hatte etwa der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach vor den bundesweiten "Unteilbar"-Demonstrationen gewarnt. Menschenmassen, die Forderungen skandierten, seien "ideale Bedingungen für eine Verbreitung des Virus durch Superspreader", sagte er. Auch Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) hatte die Demonstranten ermahnt, Rücksicht zu nehmen.

Am Wochenende zuvor hatten bereits 15 000 zumeist dunkel gekleidete Menschen auf dem Berliner Alexanderplatz gegen Rassismus und Polizeigewalt demonstriert. Auch hier hatte man schweigend an den Tod des US-Amerikaners George Floyd erinnern wollen, der Ende Mai in Minneapolis von einem weißen Polizisten mit dem Knie am Hals zu Boden gedrückt wurde. Diese Proteste hatten in der vergangenen Woche jedoch Kritik ausgelöst, weil sich die Teilnehmer nicht ausreichend an Abstandsregeln gehalten hatten.

An diesem Sonntag zog die Berliner Polizei dagegen eine positivere Zwischenbilanz: "Es ist schön zu sehen, wie Protest auf die Straße gebracht werden kann, ohne andere zu gefährden", sagte ein Polizeisprecher. Auch in Hamburg seien die Proteste mit viel Abstand und friedlich verlaufen.

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Quelle:
SZ vom 15.06.2020
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