Süddeutsche Zeitung

Demonstrationen in der Pandemie:"Fridays for Future" will zurück auf die Straße

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Die Klimaschutzbewegung arbeitet an coronakompatiblen Konzepten für eindrucksvolle Proteste. Auf eines der wichtigsten Mittel aber muss sie dabei verzichten.

Von Philipp Bovermann, Berlin

Luisa Neubauer ist genervt, das merkt man schon an den paar Zeilen, die sie am Samstag auf Twitter verbreitet hat. Kurz zuvor war die "Querdenker"-Demonstration durch Berlin gezogen, vielfach ohne Maske und Mindestabstand. "Was für eine ignorante Aktion heute", schreibt Neubauer. "Stunden, Tage" habe "Fridays for Future" damit verbracht, Hygienekonzepte zu schreiben und sich mit Behörden zu treffen, damit Proteste niemanden gefährden. "Das geht schon, wenn man will."

Wie genau das gehen kann, darüber hat sich die Klimaschutzbewegung "Fridays for Future", bei der Neubauer aktiv ist, viele Gedanken gemacht. Als erste größere Bewegung verlagerte sie ihren Protest in die sozialen Netzwerke, seit einiger Zeit holt sie ihn von dort aus Stück für Stück wieder zurück auf die Straße, aber in gewandelter Form. Im September steht der nächste internationale Großstreik an, ein Jahr, nachdem die junge Bewegung Hunderttausende Menschen in Deutschland mobilisierte. Wenn man sich nach den Bildern vom Samstag also fragt, wie Massenprotest trotz fortdauernder Pandemie aussehen könnte, ist "Fridays for Future" wohl nicht die schlechteste Adresse.

Neubauer erklärt am Telefon erst mal, wie sie den Tweet gemeint hat. Es sei "absurd, dass von Vierzehnjährigen erwartet wird, dreißigseitige Konzepte zu schreiben, wie man bei einer Fahrraddemo Abstand hält", wenn andere sich über sämtliche Auflagen hinwegsetzen. Die Idee mit den Fahrraddemos, zum Beispiel, sei relativ früh aufgekommen. Fahrräder sorgen einfach dadurch, dass sie groß, schwer und im Weg sind, für Mindestabstand.

In einer Arbeitsgruppe will "Fridays for Future" sich mit Behörden und Virologen austauschen

Aber was, wenn jemand vom Rad fällt und sich eine Traube um die Person bildet, um ihr aufzuhelfen? Wie stellt man dann sicher, dass sich der rollende Menschenfluss nicht an der Stelle staut und sich die Leute zu nah kommen? Wann fahren wie viele Menschen wo ab, damit es nicht zu eng wird? Wie sorgen die Veranstalter dafür, dass alle Teilnehmer ihre Masken aufbehalten? Schlüsselfertige Konzepte dafür, die man von einer Stadt auf eine andere, von einem Bundesland ins andere übertragen kann, gebe es nicht, dafür seien die Regelungen - und diejenigen, die sie interpretierten - zu unterschiedlich.

"Fridays for Future" habe eine Arbeitsgruppe gebildet, die nichts anderes tue, als den Informationsfluss mit Behörden und mit Virologen aufrechtzuerhalten. So fänden inzwischen coronakompatible Protestformen mit Teilnehmern "zwischen zehn und über tausend Leuten" statt. Annika Rittmann, eine der Organisatorinnen der Bewegung in Hamburg, erzählt, wie es wieder angefangen hat: Mit Schildern, die Aktivisten vor dem Rathaus ablegten. Stummer Protest. Auch später, als wieder Menschen auf die Straße gingen, blieben die Proteste oft stumm, weil Rufen oder Singen besondere Infektionsrisiken bergen. Die Aktivisten sangen nicht, sie riefen nicht, aber sie waren da. Bei Kundgebungen trugen sie sich in Listen ein. Einmal bildeten sie eine Menschenkette, mit Seilen zwischen den Leuten, um den Abstand zu garantieren. Bei anderen Gelegenheiten standen sie auf Kreidemarkierungen - die dann beispielsweise eine große Sanduhr bildeten, als Bild für das Verrinnen der Zeit im Kampf gegen die Klimakrise.

Die eindrücklichen Bilder: Bei Protestformen wie etwa dem Christoper Street Day, der dieses Jahr in Form eines Online-Streams stattfand, kommen sie nicht zustande. Als sie bei den großen "Black Lives Matter"-Protesten Anfang Juni entstanden - Zehntausende Menschen, die sich etwa auf dem Münchner Königsplatz hinknien und schweigen, im Gedenken an den ermordeten George Floyd - gab es Kritik wegen der Missachtung von Hygieneregeln.

Neubauer bestätigt, es sei ein Spagat, den "Fridays for Future" im September beim globalen Großstreik zu bewältigen hat. Funktioniert das, Massenmobilisierung in der Pandemie? Die Bewegung habe aus den Experimenten der vergangenen Zeit gelernt, sagt sie. Die dabei entstandenen Protestformen müsse sie nur noch "hochskalieren". Bilder von dicht gedrängten Menschenmassen entstehen so freilich nicht. Genau die Bilder, von denen Neubauer sagt, sie seien "eins unserer wichtigsten Mittel". Belohnt die Aufmerksamkeitsökonomie also diejenigen, die bewusst auf Mindestabstände verzichten? "Das ist die Sache mit der politischen Solidarität", sagt Neubauer. "Die funktioniert nur, wenn sich alle dran halten."

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SZ vom 05.08.2020
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