Süddeutsche Zeitung

Coronavirus:Italien ist in Sorge - trotz einer guten Nachricht

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In der von Covid-19 schlimm getroffenen Region Bergamo wurde erstmals kein einziger neuer Infizierter registriert. Doch an Orten, die bisher verschont blieben, legen die Zahlen zu, etwa auf der Urlaubsinsel Sardinien.

Von Oliver Meiler, Rom

Eine gute Nachricht allein kann die neuen Sorgen der Italiener nicht verdecken. Die gute Nachricht geht so: In Bergamo, der Hauptchiffre des italienischen Dramas mit dem Coronavirus, wurde am Samstag zum ersten Mal seit sechs Monaten kein einziger neuer Infizierter registriert. Stadt und Provinz: zero, null. Ein symbolischer Moment. Für Italien hört sich die Meldung etwa so an wie damals, als es hieß, in Wuhan, dem mutmaßlichen Ursprungsort der Seuche, sei keine neue Ansteckung hinzugekommen.

Die Bilder von Menschen, die sich vor den Krankenhäusern stauten, und jene von Militärtransportern, die in der Nacht die Leichen wegbrachten, weil es auf den Friedhöfen keinen Platz mehr gab - sie brannten sich ins Gedächtnis der Italiener ein. In keiner Gegend des Landes war die Übersterblichkeit in den Monaten der akuten Krise größer als in der Region rund um Bergamo. Damals schaute man auf dem Bulletin mit den neuen Infektionsfällen immer zuerst bei Bergamo nach. Nun also: zero, null. Vom "alleinigen Verdienst der Bergamasken" sprach Giorgio Gori, der Bürgermeister der Stadt. "Machen wir weiter so."

Doch wahrscheinlich ist die gute Nachricht nicht nachhaltig, vielleicht ist sie sogar nur die Folge eines statistischen Zufalls. Denn auch in Italien nimmt die Verbreitung des Virus wieder Fahrt auf - und die Fälle sind wegen der vielen Urlaubsreisenden neuerdings auf das ganze Land verteilt. Am Wochenende übertraf die Zahl der Neuinfektionen erstmals nach mehreren Monaten wieder tausend, bei 77 000 Tests. Im Vergleich zu Frankreich und Spanien steht Italien damit zwar noch einigermaßen gut da. Doch die Frage ist: Warum ist das so? Und, vor allem: wie lange noch?

Ein etwas genauerer Blick in die Statistik zeigt, dass das Durchschnittsalter der Personen, die sich zuletzt mit dem Erreger angesteckt haben, stark gesunken ist - auf 30 Jahre. 50 Prozent der neu infizierten Menschen sind jünger als 25 Jahre. Die Erklärung dafür ist einfach: Im Sommerurlaub ist insbesondere die Disziplin der Jungen stark gesunken. Man sieht es auf Aufnahmen aus den Ausgehvierteln der Städte, von den Stränden überall im Land, aus den Clubs und Diskotheken im Freien - nicht an vielen Orten wird der gebotene Abstand gewahrt, Masken tragen auch längst nicht mehr alle. Vor einigen Tagen hat die italienische Regierung deshalb die Diskotheken schließen lassen.

Bald sollen die Schüler zurückkehren

Selbst junge Tanzfreunde fragen sich, warum Etablissements, deren ganze Essenz auf Nähe und Zwischenmenschlichkeit basiert, überhaupt öffnen durften. Manche Lokalbetreiber fühlen sich nun ungerecht stigmatisiert, obschon Rom ihnen Entschädigung versicherte. Am lautesten beklagte sich der bekannteste der Zunft: Der Unternehmer Flavio Briatore, früher Rennstallchef in der Formel 1, betreibt unter anderem das berühmte Lokal Billionaire in Porto Cervo an der sardischen Costa Smeralda. Dort sollen sich in den vergangenen Tagen mehrere Gäste angesteckt haben, Dutzende mussten in Quarantäne. Briatore ärgerte sich trotzdem in allen Medien über die Schließung seines Luxusladens. Es liege schließlich niemand auf der Intensivstation, sagte er.

Überhaupt Sardinien: Die liebste Ferieninsel der Italiener ist der neue Corona-Hotspot des Landes, und das ist bitter. In der ersten Phase der Pandemie galt Sardinien nämlich weitgehend als Covid-frei. Sehr überraschend ist die Entwicklung allerdings nicht. Gesundheitsminister Roberto Speranza sagte am Wochenende, die Regierung habe den Italienern ja nicht verbieten können, Sommerferien zu machen. Nun fordern Gouverneure auf dem italienischen Festland, dass Feriengäste bereits vor der Rückreise aus Sardinien, also vor dem Besteigen einer Fähre oder eines Flugzeugs, getestet werden. Zurzeit ist es so, dass die Tests bei Ankunft erfolgen - im Chaos. Erfasst werden längst nicht alle. Ungefähr siebzig Prozent der registrierten Neuinfektionen passieren nun in Italien selbst; der Rest der Fälle wird aus Risikoländern wie Kroatien und Spanien sowie mit ankommenden Migranten importiert.

Die jüngste Entwicklung beschäftigt die Italiener auch deshalb, weil für Mitte September die Rückkehr der Kinder und Jugendlichen in die Klassen vorgesehen ist: Kitas, Kindergärten, Grundschulen, Mittelschulen, Universitäten. Seit dem Lockdown waren sie alle zu. Nun wird mit Hochdruck und Verspätung an der Umsetzung von Sicherheitsprotokollen gearbeitet. Doch fragt sich natürlich, wie viel Sicherheit die tatsächlich garantieren, wo doch viele Junge in den kommenden Wochen erst mit ihren Familien aus dem Urlaub zurückkehren.

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