Süddeutsche Zeitung

Coronavirus:Vorbereitung auf das große Impfen

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Noch ist kein Impfstoff gegen das Virus zugelassen, doch die Bundesländer bereiten sich auf mögliche Masseninjektionen ab Dezember vor. Für die Aktion brauchen sie Millionen Kanülen, die Hilfe der Bundeswehr, eine ausgeklügelte Logistik - und viel Zeit.

Von Peter Burghardt, Matthias Drobinski, Claudia Henzler, Ulrike Nimz und Christian Wernicke, München

Es soll nun ganz schnell gehen: Mitte Dezember sollen nach dem Willen von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) die ersten Impfzentren öffnen. Er habe die Bundesländer gebeten, sie entsprechend vorzubereiten, sagte Spahn am Montag. Und tatsächlich sind die Vorbereitungen in vielen Ländern schon weit gediehen.

Alle Landesregierungen verfolgen dabei ähnliche Strategien: Zuerst soll es zentrale Impfzentren geben, in denen sich in erster Linie Angehörige von medizinischen Berufen, Feuerwehrleute und Polizisten sowie sogenannte Risikopatienten impfen lassen sollen. Bei der Frage, wer in welcher Reihenfolge dran ist, wollen die Länder den Empfehlungen folgen, die die Ständige Impfkommission gerade erarbeitet. Mobile Teams sollen außerdem Pflegeeinrichtungen besuchen.

Der Besuch eines Impfzentrums verpflichtet nicht dazu, sich eine Spritze setzen zu lassen

In Baden-Württemberg gibt es sogar schon erste Testläufe - freilich nur rein logistisch, noch ohne Impfstoff. Im Messezentrum Ulm probte das Rote Kreuz am vergangenen Wochenende, wie 120 Menschen pro Stunde geimpft werden können.

Insgesamt sollen im Südwesten nach Angaben des Stuttgarter Sozialministeriums bis zum 15. Dezember acht Impfzentren entstehen, in denen jeden Tag jeweils 1500 Menschen beraten und gegebenenfalls geimpft werden können. In einem zweiten Schritt soll es bis Mitte Januar in jedem Stadt- und Landkreis kleinere Zentren geben. Es werde sichergestellt, dass jeder Patient ein individuelles Beratungsgespräch bekommt, sagte ein Sprecher des Sozialministeriums.

Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) betonte am Samstag in Ulm, dass es keinen Impfzwang gebe. Auch der Besuch im Impfzentrum verpflichte zu nichts. Man könne sich dort von einem Arzt beraten lassen und danach wieder ungeimpft nach Hause gehen, wenn man sich gegen die Impfung entscheide. Die Impfstrategie wird am morgigen Dienstag im Stuttgarter Kabinett beschlossen. Welcher Impfstoff eingesetzt wird, liege beim Bund, sagt ein Sprecher des Sozialministeriums.

Ärzte und medizinische Helfer sollen spritzen, Soldaten bei der Verwaltung helfen

Auch Schleswig-Holstein plant mit etwa 1500 Impfungen pro Tag und Zentrum. Spritzen, Kanülen und Kühlaggregate hat das Bundesland bestellt, das Material wurde zum Teil bereits geliefert, die Impfdosen bekommen die Zentren von einem zentralen Verteilzentrum. Impfen sollen "ärztliches und nichtärztliches medizinisches Hilfspersonal", so das Gesundheitsministerium in Kiel, die Bundeswehr unterstütze bei der Verwaltung.

In Niedersachsen sind bis zu 60 Impfzentren vorgesehen. Grundsätzlich soll für jeweils 150 000 Einwohner ein Impfzentrum da sein, sagte Gesundheitsministerin Carola Reimann (SPD): "Die Impfzentren übernehmen eine Brückenfunktion, bis wir über ausreichend Dosen des Impfstoffs und auch Erfahrungen mit der Impfung verfügen."

Mecklenburg-Vorpommern plant mindestens ein Corona-Impfzentrum in jedem der sechs Landkreise sowie in Rostock und Schwerin. Für die Impfzentren will das Schweriner Gesundheitsministerium auch Ärzte aus dem Ruhestand holen. Hamburg will erst Ende der Woche konkret informieren. Bei der Einrichtung eines zentralen Impfzentrums kommt der Flughafen infrage. Gleich zwei ehemalige Flughäfen will Berlin nutzen, außer Tegel und Tempelhof sollen eine Messehalle und drei Sportarena als Impfzentren dienen.

"Noch nie hat es eine solche Herausforderung in unserem Land gegeben", sagt Hessens Ministerpräsident Bouffier

Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) gab als Zielmarke aus, 60 bis 70 Prozent der Bevölkerung in insgesamt 30 Impfzentren zu immunisieren. Das wären vier Millionen Menschen, die zweimal geimpft werden müssten. Funktioniere alles wie geplant, könnte die angestrebte Herdenimmunität in acht bis neun Monaten erreicht werden. "Noch nie hat es eine solche Herausforderung in unserem Land gegeben," sagte Bouffier.

Nicht einfach jedenfalls sei es, den vom Bund zur Verfügung gestellten Impfstoff, der auf mindestens minus 70 Grad gekühlt werden muss, zu lagern und zu verteilen. In den Zentren soll es dann einen klar strukturierten Ablauf der Impfung geben: Zuerst werden Identität und Gesundheitsdaten der zu Impfenden erfasst, dann gibt es für jeden ein Aufklärungsgespräch mit einem Arzt über mögliche Risiken und Nebenwirkungen der Impfung. Es folgt die eigentliche Impfung, schließlich soll es Räume geben, wo sich die Geimpften noch kurz erholen können.

Die jeweiligen Bevölkerungsgruppen sollen durch einen "aktivierenden Aufruf" und ein Einladungsverfahren informiert werden, wann sie sich impfen lassen können - niemand kann sich also von sich aus um einen Impftermin bewerben. So sollen chaotische Szenen und lange Schlangen vor den Zentren vermieden werden.

Allein Nordrhein-Westfalen hat 20 Millionen Spritzen bestellt

Auch Rheinland-Pfalz plant mindestens ein Zentrum pro Landkreis, im Saarland klärt man die Standortfrage derzeit noch. In Sachsen und Sachsen-Anhalt werden die konkreten Standorte derzeit ebenfalls noch abgestimmt, geplant ist ebenfalls mindestens ein Zentrum pro Kreis. In Sachsen seien bereits 1,2 Millionen Spritzen und Kanülen bestellt und die ersten Lieferungen bereits eingetroffen. Thüringen plant insgesamt 29 Impfstellen und zehn mobile Teams, um die Bewohner in Alten- und Pflegeheimen zu versorgen. Geimpft werden soll nur nach Terminvergabe. Thüringens Bildungsminister Helmut Holter (Linke) hat sich dafür ausgesprochen, dass Lehrer und Erzieher die Impfung direkt in Schulen und Kitas erhalten.

Für das bevölkerungsreichste Bundesland Nordrhein-Westfalen hatte Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) zunächst in jedem Kreis und in jeder Stadt Impfzentren bis Weihnachten versprochen - wenn Spahn nun auf Mitte Dezember dränge, "dann werden wir das hinkriegen", versicherte Laumann. Auch Laumann baut auf mobile Impfteams, um die etwa 800 000 alten und pflegebedürftigen Menschen impfen zu lassen.

Über die Pflegeversicherung will das Ministerium die Adressen von über 600 000 "vulnerablen Personen" identifizieren und diese zur Impfung auffordern. Das NRW-Ministerium hat 20,2 Millionen Spritzen bestellt, pro Woche könnten schätzungsweise 80 000 bis 100 000 Menschen an Rhein und Ruhr geimpft werden. Ziel sei es, in NRW ungefähr 16 Millionen Menschen zu impfen. "Das schafft man nicht in ein paar Wochen," sagt Laumann, 2021 werde wohl "mehr oder weniger Impf-Jahr."

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