Süddeutsche Zeitung

EU-Parlament:"Die Geschichte schaut auf uns"

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Mit strengen Worten mahnt Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zu mehr europäischer Zusammenarbeit in der Corona-Krise. Viele Staaten hätten zunächst nur an sich selbst gedacht.

Von Karoline Meta Beisel und Björn Finke, Brüssel

Die EU-Staats- und Regierungschefs haben sich die Ermahnungen Ursula von der Leyens nicht sonderlich zu Herzen genommen. Am Donnerstag konferierten die Spitzenpolitiker bei einem Videogipfel über den Kampf gegen die Corona-Pandemie und ihre wirtschaftlichen Folgen. Kommissionspräsidentin von der Leyen hatte vorher in einer Rede im Europaparlament zu Einigkeit aufgerufen. Stattdessen stritten die Politiker über die richtige wirtschaftliche Antwort auf die Krise. Italiens Ministerpräsident Giuseppe Conte weigerte sich zunächst, eine gemeinsame Abschlusserklärung mitzutragen, weil diese nur unzureichende finanzielle Hilfen ankündige, wie es hieß. Am Ende dauerte die Unterredung statt angepeilter zwei mehr als fünf Stunden, aber immerhin gelang es EU-Ratspräsident Charles Michel, doch noch einen Kompromiss zu finden. Der Disput drehte sich um die Rolle des Euro-Rettungsschirms ESM - und ob dessen Aktivierung genug ist. Gemeinsam mit Spaniens Ministerpräsident Pedro Sánchez hat Conte dem Vernehmen nach "innovative und angemessene Finanzinstrumente" gegen die Corona-Krise gefordert. Beide Staaten sind von der Pandemie besonders betroffen und ächzen ohnehin unter hohen Schulden. Die Abschlusserklärung verspricht, dass die Eurogruppe, das Gremium der Finanzminister aus den Staaten mit der Gemeinschaftswährung, binnen zwei Wochen Vorschläge für ein Hilfsprogramm des ESM entwickeln solle. Andere Initiativen werden jedoch nicht ausgeschlossen. Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte allerdings nach der Videoschalte, aus deutscher Perspektive sei der ESM das Instrument der Wahl: "Wir werden in zwei Wochen über die Vorschläge der Finanzminister noch einmal beraten." Das geplante Hilfspaket des ESM, des Europäischen Stabilitätsmechanismus', soll darin bestehen, dass dieser allen Euro-Staaten eine sogenannte vorsorgliche Kreditlinie zur Verfügung stellt. Sämtliche Regierungen könnten Darlehen im Wert von bis zu zwei Prozent ihrer Wirtschaftsleistung abrufen, um damit den Kampf gegen die Pandemie und die Rezession zu finanzieren. Umstritten waren aber die Bedingungen, die an diese Darlehen geknüpft sind. Außerdem argumentierten einige Regierungen, dass solche Kreditlinien nicht ausreichten an europäischer Solidarität. So forderten neun Staaten, darunter Frankreich, Spanien und Italien, vor dem Gipfel in einem Brief, die EU solle gemeinschaftliche Anleihen ausgeben. Die Einnahmen sollten in die Bekämpfung der Krise fließen. Doch Regierungen wie die deutsche und niederländische lehnen es seit jeher ab, Schulden zu vergemeinschaften - sie wollen nicht für die Kredite anderer EU-Staaten mithaften. In der Gipfelschalte soll Conte jedoch dem Vernehmen nach klar gestellt haben, dass es bei seinem Widerstand nicht darum gehe, die Vergemeinschaftung von Schulden zu erreichen. Kommissionspräsidentin von der Leyen hatte am Morgen vor dem Gipfel im Europaparlament über nationale Egoismen in der Corona-Krise geklagt: "Als Europa wirklich füreinander da sein musste, haben zu viele zunächst nur an sich selbst gedacht", sagte die Deutsche. Europa stehe an einer Weggabel. "Die Geschichte schaut auf uns. Lassen Sie uns gemeinsam das Richtige tun - mit einem großen Herzen, nicht mit 27 kleinen." Dieser Satz richtete sich nicht nur an die Abgeordneten, sondern vor allem auch an die Staats- und Regierungschefs. Kanzlerin Merkel räumte nach der Videokonferenz ein, dass die Krisenbekämpfung auf europäischer Ebene schlecht gestartet sei: "Wir müssen feststellen, dass wir bei der Bewältigung am Anfang nicht immer koordiniert agiert haben." Aber nun sei der Wille zur Abstimmung vorhanden.

Ein Paket, "vergleichbar mit dem Marshall-Plan" nach dem Zweiten Weltkrieg

Bei der Videoschalte waren zudem die anhaltenden Grenzkontrollen zwischen vielen EU-Ländern Thema, ebenso wie eine koordinierte Strategie, um bei einem Abflauen der Krise Beschränkungen wieder zu lockern und der Wirtschaft auf die Beine zu helfen. Ratspräsident Michel hatte zuvor in einem Interview ein ökonomisches Hilfspaket versprochen, das mit dem Marshall-Plan vergleichbar sein solle, dem Aufbauprogramm für Europa nach dem Zweiten Weltkrieg.

Der Abschlusserklärung zufolge sollen Michel, die Kommission und die Europäische Zentralbank gemeinsam einen Aktionsplan entwerfen. Der soll Vorschläge für die Ausstiegs-Strategie nach der Pandemie und für das Ankurbeln der Wirtschaft enthalten.

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SZ vom 27.03.2020
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