Süddeutsche Zeitung

Corona in Italien:Vorbild Südtirol

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Italiens Regierung überträgt die Verantwortung im Umgang mit dem Coronavirus an die Regionen - ein Zugeständnis an die unterschiedliche Gefährdungslage. Schon diskutiert das Land, wie Strände, Hotels und Restaurants geöffnet werden können.

Von Oliver Meiler, Rom

Italien steht vor einem Kurswechsel, man könnte es auch einen Paradigmenwechsel nennen. Und wahrscheinlich hat Südtirol als Wegbereiter gedient. Die Zentralregierung in Rom gibt die Verantwortung bei der Öffnung des Lockdowns an die Gouverneure aus den Regionen ab, die sich bisher gerne beklagt hatten über die Linie in der Hauptstadt. Den einen Landesfürsten ging Premier Giuseppe Conte nie weit genug, den anderen ging er zu weit mit den Beschränkungen des öffentlichen Lebens - je nach politischer Ausrichtung.

Bisher war es auch immer so gewesen, dass die Maßnahmen für alle galten, in den arg betroffenen Gegenden im Norden genauso wie im fast ganz verschonten Süden des Landes. Das half entscheidend mit, die Ausbreitung des Virus zu bremsen. Nun aber sind nur noch die Lombardei und das Piemont in einer kritischen Situation. Alle anderen Regionen Italiens haben Corona fürs Erste unter Kontrolle gebracht. Als Indikator dafür dient die Zahl der belegten Intensivbetten, die größte Sorge der Italiener seit Beginn der Krise: Sie ist auf unter tausend gefallen. So tief war sie seit der Verfügung des harten Lockdown am 10. März nie mehr gewesen.

Allerdings stieg die Zahl der Neuinfektionen in der Lombardei am Dienstag sprunghaft an. Binnen 24 Stunden wurden 1033 neue Fälle registriert, teilte das Gesundheitsministerium am Dienstag mit.

Das autonome Südtirol mochte trotz schwankender Zahlen nicht mehr warten und bewegte damit die Regierung zum Handeln. Vergangene Woche beschloss das Provinzparlament in Bozen einen Sonderweg und sperrte fast alles auf: Restaurants, Bars, Geschäfte, Museen, Bibliotheken, Betriebe. Von 18. Mai an dürfen das nun auch alle anderen italienischen Regionen, sie sollen selbst über Maß und Maßnahmen entscheiden. "Es beginnt eine neue Phase für die Gouverneure", sagte der zuständige Minister Francesco Boccia. "Sie tragen jetzt die Verantwortung für ihre Regionen."

Der polemische Unterton, der da mitschwang, war gewollt. Für den Fall, dass die Kurve der Neuinfektionen wieder ansteigt, behält sich Rom das Recht vor, sofort einzugreifen. Auch mit der Errichtung von "Zone rosse", mit Totalabriegelungen einzelner Gegenden also.

Einfach Badetuch in den Sand und drauflegen? Wird man nicht dürfen

Der Kurswechsel ist ein klares Zeichen dafür, dass man zuversichtlicher geworden ist, was den Sommer betrifft. Conte sagte neulich: "Wir werden diesen Sommer nicht auf unseren Balkonen verbringen, die Schönheit Italiens wird nicht in der Quarantäne gefangen bleiben. Wir werden ans Meer gehen, in die Berge, wir werden unsere Städte genießen können." Von ausländischen Touristen sprach er nicht. Doch ob sich die Landesgrenzen öffnen werden, hängt ja nicht nur von Italien ab. Zwischen den Regionen wird man vorläufig noch immer nicht verkehren dürfen, außer in Notfällen. Diese Einschränkung wird wahrscheinlich Ende Mai fallen. Viele Italiener besitzen Zweitresidenzen in ihrer Heimatregion oder am Meer, sie sollen dann in ihre Häuser fahren dürfen. Allerdings liegt es dann ebenfalls an den Regionen, Bedingungen dafür festzulegen. Sardinien zum Beispiel plant, jeden Besucher nach Ankunft von Fähre und Flugzeug zuerst auf Corona zu testen. Wie das in der Praxis gehen soll, ist noch nicht so klar.

Expertengruppen haben Leitlinien und Handbücher für die "Phase zwei" erarbeitet, und auch da sind vor allem jene zu den Stränden und den Restaurants interessant. In den Strandbädern mit Staatslizenzen, etwa 30 000 im Land, soll jeder Sonnenschirm mindestens viereinhalb Meter von dem nebenan entfernt sein, zwischen den Liegereihen soll die Distanz fünf Meter betragen. Die Strandbars und Restaurants dürfen nur Essen und Getränke fürs Mitnehmen reichen, die Bäder und Duschen müssen ständig desinfiziert werden. Vor dem Besuch muss man seinen Platz online buchen. An den freien Stränden schauen Polizisten und Stewards nach dem Rechten, sie kanalisieren die Besucher. Wird es zu dicht, ist schnell zu. Badetuch in den Sand und drauflegen? Darf man nicht.

Auch der Besuch im Restaurant wird deutlich weniger lustig sein. Der Vorschlag der Wissenschaftler: vier Meter zwischen den Tischen, dazwischen Trennwände aus Plexiglas. Der Verband der Gastwirte klagt, damit verlören sie bis zu sechzig Prozent ihrer Geschäftsfläche und ihrer Einkünfte. In Italien arbeiten 1,2 Millionen Menschen im Gastgewerbe. Nun wird darüber diskutiert, wie der Raum im Freien besser genutzt werden könnte. Muss ein Gast auf die Toilette, setzt er sich eine Schutzmaske auf. Und dann gibt es da noch eine ganze Reihe von Hygienevorschriften für die Küche.

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Quelle:
SZ vom 13.05.2020
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