Süddeutsche Zeitung

Krankenhäuser:"Noch nie so viele Personalausfälle durch Covid"

Lesezeit: 2 min

Mehr als die Hälfte der deutschen Intensivstationen müssen ihren Betrieb einschränken, weil viele Beschäftigte erkrankt sind - dabei liegen dort mehr als doppelt so viele Covid-Patienten wie im vergangenen Sommer.

Von Jakob Wetzel

Die Corona-Sommerwelle mit weiterhin steigender Inzidenz erschwert zunehmend die Arbeit in Krankenhäusern. Es fehlen nicht nur Pflegekräfte, sondern auch Ärztinnen und Ärzte. 55 Prozent der Intensivstationen in Deutschland, insgesamt 736 Einrichtungen, müssten deshalb derzeit bereits ihre Leistungen reduzieren, warnt die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi). Deren Präsident Gernot Marx sagte den Zeitungen der Funke-Mediengruppe, die Notfallversorgung sei zwar gesichert. Doch in 32 Prozent der Intensivstationen sei nur noch eingeschränkter Betrieb möglich. Weitere 23 Prozent müssten zum Beispiel Operationen absagen oder verschieben, um den Regelbetrieb aufrechtzuerhalten.

Auf den Intensivstationen lagen am Sonntag laut Divi 1101 Covid-Patientinnen und -patienten, 48 mehr als am Vortag. So viele waren es im Juli noch nie; der Wert ist mehr als doppelt so hoch wie zum gleichen Zeitpunkt vor einem Jahr und laut Marx knapp vier Mal so hoch wie im Juli 2020. Dabei können auch wegen des Personalmangels aktuell fast 2000 Intensivbetten weniger betrieben werden als vor einem Jahr. In Deutschland sind derzeit laut Divi insgesamt gut 17 400 Intensivbetten belegt und 3250 frei.

Die Lage sei nicht dramatisch, aber sehr angespannt, sagt Christian Karagiannidis, Mitglied des Corona-Expertenrats der Bundesregierung und einer der wissenschaftlichen Leiter des Divi-Intensivregisters. 675 von 1230 Kliniken hätten gemeldet, dass wegen Personalproblemen nicht alle Betten in Betrieb sind. Hintergrund sind nicht zuletzt die hohen Infektionszahlen. Die Sieben-Tage-Inzidenz lag vor einem Jahr noch bei 5,8 Infektionen pro 100 000 Einwohner binnen einer Woche. Aktuell liegt sie bei 672,9. Es ist von einer hohen Dunkelziffer auszugehen. "Ich habe noch nie so viele Personalausfälle durch Covid gesehen wie in dieser Welle", sagt Karagiannidis.

"So geht es nicht mehr weiter."

Hinzu komme, dass das Gesundheitssystem schon vor der Pandemie prekär aufgestellt gewesen sei, sagt Uwe Janssens, Leiter der Intensivmedizin am Sankt-Antonius-Hospital Eschweiler und ehemaliger Divi-Präsident. Pflegekräfte seien müde und wanderten ab. Das System drohe zu kollabieren. "So geht es nicht mehr weiter." Nötig seien nun neben besseren Arbeitsbedingungen auch mutige Schritte zur Digitalisierung des Gesundheitswesens sowie eine Kampagne, damit sich wieder mehr Menschen impfen lassen, nicht nur gegen Covid, sondern auch gegen andere Infektionskrankheiten wie Influenza. In seiner Klinik lägen wohl so viele Menschen wie nie wegen Covid auf Normalstationen - aber eben nicht auf Intensiv. "Die Impfungen haben uns vor Schlimmerem bewahrt."

Karagiannidis, der auch Mitglied der Regierungskommission zur Krankenhausreform ist, sieht zudem hohes Potenzial bei den Kliniken, sich besser zu vernetzen. "Es wird im Gesundheitswesen kein weiteres Personalwachstum geben, die goldenen Zeiten sind schlicht vorbei", sagt er. Zu kooperieren und sich gegenseitig Patienten zuzuteilen, werde im Herbst und Winter wichtig sein wie nie zuvor.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5618627
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ/dpa
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.