Süddeutsche Zeitung

Nutzen der Corona-Impfung:Hoffnung in kleinen Dosen

Lesezeit: 3 min

In Israel und Großbritannien ist spürbar, dass der Corona-Impfstoff wirkt: Todesfälle und Infektionen nehmen ab. Doch für eine Entwarnung ist es noch zu früh, besonders für Jüngere.

Von Christina Kunkel und Benedict Witzenberger

Es ist das Mantra dieser Wochen: Tempo, endlich mehr Tempo. Immer getrieben von der Hoffnung, dass schnelleres Impfen weniger Leid bedeutet - und auch mehr Freiheiten. Am Freitag versprach Gesundheitsminister Jens Spahn erneut, dass bald deutlich mehr Menschen gegen das Coronavirus immunisiert werden sollen. Derzeit sind in Deutschland circa 150 000 Impfungen pro Tag möglich, in den nächsten Wochen sollen es doppelt so viele sein. Dieses neue Tempo ist laut Spahn schon allein deshalb nötig, um alle verfügbaren Dosen verabreichen zu können. Auf einmal geht es also nicht mehr um zu wenig Impfdosen, sondern darum, wie der schützende Stoff zeitnah seinen Weg in möglichst viele Oberarme findet. Außerdem soll ein Sonderbeauftragter den stärkeren Ausbau der Impfstoffproduktion in Deutschland unterstützen.

Doch wie sind die Aussichten, sollte es mit dem schnelleren Impfen wirklich klappen? Nimmt man etwa das Ziel, dass möglichst kein Mensch mehr an Covid-19 sterben muss oder im Krankenhaus beatmet wird, weil das Virus ihm die Luft abschnürt, dann kann man anhand bisheriger Daten aus anderen Ländern sagen: Ja, es funktioniert. Hoffnung macht vor allem der Blick nach Israel. Seit Mitte Dezember impft das Land seine Bürger in Rekordzeit, zuerst alle über 60-Jährigen, danach junge Menschen, die kurz vor dem Schulabschluss stehen. Mittlerweile wird die Impfung jedem angeboten.

Inzwischen haben in Israel fast 90 Prozent aller Menschen über 60 die erste, über 80 Prozent bereits die zweite Impfstoffdosis erhalten. Bei den unter 60-Jährigen sind es unter 40 Prozent mit der ersten und etwa 20 Prozent mit der zweiten Dosis. Eine noch nicht wissenschaftlich begutachtete Studie des Weizmann-Instituts hat die Entwicklung zwischen diesen beiden Altersgruppen verglichen. Die Daten bis zum 6. Februar zeigen, dass die Neuinfektionen in der älteren, fast durchgeimpften Gruppe im Vergleich zu Mitte Januar um fast 50 Prozent zurückgingen. Bei den Jüngeren - größtenteils Ungeimpften - waren es dagegen nur 20 Prozent weniger Neuinfektionen. Dieser Rückgang könnte theoretisch auch auf den israelischen Lockdown vom 8. Januar zurückzuführen sein. Um diesen Effekt herauszurechnen, machten sich die Forscher zunutze, dass die Impfungen nicht in allen Orten gleichzeitig begonnen hatten. Sie konnten zeigen, dass Gebiete mit früherem Impfbeginn auch vorzeitig einen Rückgang der Infektionen bei Älteren verzeichnen konnten - unabhängig vom Lockdown.

Auch aus Großbritannien gibt es erste ermutigende Meldungen. Seit Ende Januar sind dort die Todeszahlen bei den über 80-Jährigen um 62 Prozent zurückgegangen. Zu diesem Zeitpunkt hatte etwa ein Drittel aller Menschen in dieser Altersgruppe eine erste Impfdosis erhalten, wie der Guardian schreibt. In jüngeren Altersgruppen, in denen noch nicht so viele Menschen immunisiert wurden, sank die Zahl der Todesfälle prozentual deutlich langsamer.

Doch wie lange wird es dauern, bis in Deutschland ein ähnlicher Effekt erkennbar ist? Mit einer spürbaren Wirkung von Impfungen auf die Pandemie-Eindämmung rechnet Sebastian Binder, Immunologe am Braunschweiger Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung, "vielleicht gegen Ende des zweiten Quartals 2021". Das hänge aber immer mit der Verfügbarkeit der Impfstoffe, der Geschwindigkeit der Impfungen und auch mit der Impfbereitschaft zusammen.

Israel zögert mit Lockerungen

So positiv die Nachrichten aus Israel besonders für gefährdete Ältere klingen, so zeigen andere Zahlen aus dem Land, dass das Virus noch lange nicht besiegt ist. Immer noch stecken sich dort täglich rund 4000 Menschen mit Sars-CoV-2 an, das ist vergleichbar mit 35 000 Neuinfektionen in Deutschland. Nur trifft es jetzt eben vor allem Jüngere. Mittlerweile müssen in Israel mehr Menschen unter 60 Jahren wegen Covid-19 ins Krankenhaus als die eigentlich durch das höhere Alter stärker gefährdeten Personen. Israelische Kinderärzte berichteten, dass im Januar mehr als 50 000 Kinder positiv auf Covid-19 getestet wurden - mehr als in jedem anderen Monat. Das alles trotz Lockdown, vermutlich auch bedingt durch die Ausbreitung der ansteckenderen Variante B1.1.7.

Die Freiheiten, nach denen sich so viele Menschen sehnen, wenn ein guter Teil der Bevölkerung immunisiert ist, werden zumindest in Israel trotz der hohen Impfgeschwindigkeit nur zögerlich ermöglicht. Die Grenzen sind immer noch dicht, erst seit Kurzem ist die strenge Ausgangssperre aufgehoben. Doch immerhin: Von Sonntag an sollen wieder Museen, Geschäfte und Fitnessstudios öffnen - allerdings nur für Geimpfte und Genesene. Dafür will die Regierung einen grünen Pass einführen, der diesen Gruppen mehr Freiheiten erlaubt. Das alles sind erste Etappenziele im Impfmarathon, während Deutschland jetzt zum ersten Sprint ansetzt.

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