Süddeutsche Zeitung

Coronavirus:Der Bundestag zeigt das gute Gesicht der Demokratie

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Die grüne, linke und liberale Opposition demonstriert, wie sehr sie sich im Krisenfall mit dieser Demokratie und ihren Mechanismen identifiziert. Ob das auch für die AfD gilt, bleibt dagegen offen.

Kommentar von Stefan Braun, Berlin

Darauf haben die Pfleger und Kassiererinnen, die Polizisten und Busfahrer in diesem Land viel zu lange verzichten müssen. Auch wenn sie es selbst am Mittwoch früh kaum mitbekommen haben dürften - das Lob, das der Bundestag zu Beginn seiner Sitzung mit stehenden Ovationen über ihnen ausschüttete, hat es so noch nie gegeben. Am Anfang der Debatte stand nicht die Rettungsaktion der Regierung. Am Anfang stand die Wertschätzung für jene Menschen, die eine Gesellschaft in der Not zuallererst am Leben erhalten. Noch sind damit nicht auf Dauer mehr Anerkennung und mehr Lohn verbunden. Trotzdem war der Beifall die wichtigste Geste von vielen guten Gesten an diesem Mittwoch.

In der Krise zeigen die Menschen ihre besten und ihre schlechtesten Eigenschaften. Dieser Satz von Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus ist keine neue Erkenntnis. Überflüssig aber macht sie das nicht, im Gegenteil. An dem Tag, an dem der Bundestag im Schweinsgalopp das wahrscheinlich größte Wirtschaftshilfspaket seiner Geschichte verabschiedete, hat auch das Parlament gezeigt, dass es in Krisenzeiten das Beste aus sich herausholt. Es zeigte das gute Gesicht einer Demokratie, und das in einem Augenblick, der wichtiger kaum sein könnte.

Rolf Mützenich, der Vorsitzende der SPD-Fraktion, hat den Unterschied am schärfsten ausgesprochen. In der Krise gebe es diejenigen, die anpacken und gemeinsam kämpfen; und es gebe jene, die zuallererst nach Schuldigen suchen und auf andere zeigen. Ob FDP, Linke oder Grüne - sie alle haben bewiesen, was eine starke Demokratie ausmacht, im kritischen Fragen zu einzelnen Beschlüssen wie im Zusammenstehen in der Krise.

Grüne, Linke und Liberale trafen im sachlichen Wettstreit das richtige Maß und den richtigen Ton. FDP-Chef Christian Lindner warnte vor einer zeitlich unbegrenzten Beschneidung von Freiheitsrechten und erinnerte an die Lücken im Schutzschirm der Regierung für kleine Unternehmen. Amira Mohamed Ali von der Linken mahnte an, auch die Obdachlosen und die Hartz-IV-Empfänger nicht zu vergessen. Und Katrin Göring-Eckardt von den Grünen beklagte, dass die Solidarität mit Italien und anderen EU-Partnern zu langsam begonnen habe. Das war keine Kleinkrämerei; es war das Bemühen, aus dem je eigenen Blickwinkel Verbesserungen anzustoßen. Damit haben alle drei demonstriert, wie sehr sie sich im Krisenfall mit dieser Demokratie und ihren Mechanismen identifizieren.

Das Parlament hat gezeigt, was es kann

Ob das auch für die AfD gilt, blieb dagegen offen. Einerseits signalisierte sie eine "vorläufige Zustimmung" zu den Rettungspaketen; andererseits konnte sie es nicht lassen, ein "Abdanken des Parlaments auf Zeit" anzuprangern. Das war keine leise Klage, es war fast süffisant vorgetragen. Solche Auftritte aber müssen kein Schaden sein. Sie beweisen im Brinkhaus'schen Sinne nur, dass Krisen bei manchen das Schlechte offenlegen.

Nein, das Parlament hat am Mittwoch nicht abgedankt. Es hat im Gegenteil gezeigt, was es kann. Und wo die Unterschiede liegen zu politischen Systemen, in denen Autokraten oder autoritär denkende Präsidenten das Handeln und die Atmosphäre prägen. Diese Krise ist noch lange nicht vorbei, und die Verantwortlichen werden Fehler machen. Aber der Rahmen, in dem das in diesem Deutschland passiert, wird ein demokratischer bleiben. Das ist eine gute Botschaft.

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SZ vom 26.03.2020
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