Süddeutsche Zeitung

Staatsfinanzen:Haste mal 'ne Milliarde?

Lesezeit: 2 min

Finanzminister Lindner steuert auf eine Rekordneuverschuldung des Bundes zu. 2023 will er aber wieder die Schuldenbremse einhalten. Wie geht das zusammen?

Von Henrike Roßbach, Berlin

Als Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) und sein Haushaltsstaatssekretär Werner Gatzer Mitte März den Haushaltsentwurf für dieses Jahr und die Finanzplanung bis 2026 vorstellten, war klar, dass dieses Zahlenwerk nicht lange Bestand haben würde. Drei Wochen zuvor hatte Russland die Ukraine überfallen, und das würde nicht spurlos an den deutschen Staatsfinanzen vorbeigehen.

Lindner hatte zu diesem Zeitpunkt nicht nur einem 100 Milliarden Euro schweren Sondervermögen für die Bundeswehr zugestimmt, sondern auch einen "Ergänzungshaushalt" für die sonstigen Kriegskosten angekündigt. Beides wird über zusätzliche Schulden finanziert: Das Sondervermögen soll im Grundgesetz und damit außerhalb der Schuldenbremse verankert werden; für den Ergänzungshaushalt soll die Ausnahmeklausel von der Schuldenbremse gezogen werden. Mit einfacher Mehrheit kann das im Bundestag beschlossen werden, also bräuchte die Ampelkoalition nicht einmal die Zustimmung der Unionsfraktion dafür.

Kommende Woche soll der Ergänzungshaushalt stehen, die Größenordnung zeichnet sich schon ab: Rund 17 Milliarden Euro wird das zweite Entlastungspaket für die Bürger kosten, das die Ampel angesichts der gestiegenen Energiekosten geschnürt hat. Hinzu kommen etwa fünf Milliarden Euro für Unternehmenshilfen, auf die Lindner sich mit Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) geeinigt hat - und die Kosten für die Unterbringung und Versorgung der Geflüchteten. Zwei Milliarden wird der Bund dafür pauschal an Länder und Kommunen überweisen; zudem trägt er die Kosten der Grundsicherung, auf die Ukraine-Flüchtlinge von Juni an Anspruch haben. Insgesamt könnten sich die Flüchtlingskosten für den Bund auf fünf bis sechs Milliarden Euro summieren. Weil dann auch noch zwei Milliarden militärische "Ertüchtigungshilfe" dazukommen, der größte Teil für die Ukraine, ist es nicht unrealistisch, von 30 Milliarden Euro für den Ergänzungshaushalt auszugehen.

Insgesamt steuert Lindner damit auf eine Rekordneuverschuldung von etwa 230 Milliarden Euro zu: 100 Milliarden für das Sondervermögen, 30 Milliarden für den Ergänzungshaushalt und 100 Milliarden für den immer noch mit den Spätfolgen der Pandemie belasteten Kernhaushalt. Richtig haarig aber wird es trotzdem erst nächstes Jahr. Dann nämlich will die Ampel die Schuldenbremse wieder einhalten. Lindner betont regelmäßig, dass dies keine beliebige politische Absicht sei, sondern ein "Befehl der Verfassung". Bliebe es dabei, dürfte der Bund 2023 allerdings nur noch 7,5 Milliarden Euro neue Schulden machen.

Von 2028 an müssen die Corona-Schulden getilgt werden

Gatzers Finanzplanung gibt diese Vollbremsung bislang zwar her. Aber nur, weil erstens schon nächstes Jahr satte 28 Milliarden Euro aus der ehemaligen Flüchtlingsrücklage verfrühstückt werden, 2024 weitere knapp 16 Milliarden und 2025 noch einmal 4,5 Milliarden. Und zweitens, weil zahlreiche Ampelprojekte Stand heute noch nicht etatreif sind; sie sind also bisher nicht vom Kabinett beschlossen und vom Bundestag verabschiedet worden und deshalb in der Finanzplanung noch nicht vorgesehen.

Verschärft wird die Lage langfristig nicht nur durch die Schuldenbremse, sondern auch durch die Tatsache, dass die Sache mit dem Sondervermögen Bundeswehr ja keine Dauerlösung ist. Wenn die Verteidigungsausgaben dauerhaft so hoch bleiben sollen, wie sie es in den kommenden Jahren durch die Abflüsse aus dem Sondervermögen sein werden, muss das irgendwann aus dem regulären Haushalt gestemmt werden.

Der reguläre Verteidigungsetat ist in diesem und den kommenden Jahren mit jeweils rund 50 Milliarden Euro eingeplant. Um die Nato-Quote von zwei Prozent der Wirtschaftsleistung für Verteidigungsausgaben zu erfüllen, müssten es grob gerechnet aber etwa 20 Milliarden Euro mehr sein. Fünf Jahre lang kann diese Lücke also durch das Sondervermögen ausgeglichen werden. Danach wäre das Geld aber verbraucht. Und 2028 kommt noch eine weitere Kostenstelle hinzu: Von da an müssen die Corona-Schulden getilgt werden, mit rund elf Milliarden Euro. Im Jahr.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5570893
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.