Süddeutsche Zeitung

Handelsbeziehungen zu China:Sie kommen wieder

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Nach drei Jahren Corona-Pause startet China eine Charmeoffensive: Persönliche Besuche sollen die Handelsbeziehungen mit Deutschland beleben. Dort ist das Interesse stark abgekühlt.

Von Florian Müller

Sie unterzeichneten Rahmenvereinbarungen für eine neue Hochschule, tauschten Gastgeschenke aus, zeigten Daumen hoch fürs Gruppenfoto: Als eine Delegation von der chinesischen Tropeninsel Hainan Mitte Dezember die Fachhochschule (FH) Bielefeld besuchte, wirkte es auf den ersten Blick wie der normale Besuch von Vertretern einer Partnerregion im deutschen Hinterland.

Doch der Besuch war alles andere als normal, gehörte er doch zu den ersten Auslandsreisen hochrangiger chinesischer Provinzvertreter seit der Abschottung des Milliardenreichs im Zuge der Corona-Pandemie vor rund drei Jahren. Mehrere chinesische TV-Sender berichteten darüber, auch auf Englisch. In Deutschland wurde der Besuch dagegen kaum registriert, nicht mal die FH selbst gab eine sonst übliche Pressemitteilung heraus.

Seit dem Ende der chinesischen Null-Covid-Politik Anfang Dezember liefern sich die Wirtschaftsförderungsbehörden der Provinzen und Städte ein Wettrennen darin, wer die meisten internationalen Reisen auf die Beine stellen kann. Zumindest wird es in chinesischen Medien so dargestellt. Auf der Prioritätenliste ganz oben steht neben Japan und Südkorea auch Europa, dort insbesondere Deutschland. Doch während einige deutsche Wirtschaftsvertreter jubeln, dass ein direkter Austausch wieder möglich ist, gibt es auch Vorbehalte.

Neben Hainan am schnellsten geschaltet hat etwa die exportorientierte Stadt Nanjing in der Provinz Jiangsu. Noch vor dem offiziellen Ende von Null Covid entsandte sie Anfang Dezember eine Delegation nach Deutschland. Die Beamten trafen sich laut chinesischen Berichten unter anderem mit Vertretern von Bosch in Stuttgart, Siemens in München und der RWTH Aachen. Die Provinz Zhejiang wiederum charterte extra ein Flugzeug, um Regierungsvertreter und Unternehmer nach Deutschland und Frankreich zu bringen. Insgesamt will die Provinz dieses Jahr tausend Delegationen ins Ausland schicken. Die Provinz Hubei spricht von mehr als hundert Delegationen im ersten Halbjahr, eine erste Mission sollte bereits im Dezember unter anderem BMW und Daimler besuchen.

Staatschef Xi Jinping wünscht sich ausländische Investoren

Der Drang nach außen wird von der chinesischen Zentralregierung stark befürwortet. So erklärte Staats- und Parteichef Xi Jinping zuletzt mehrfach, sein Land wolle sich für ausländische Investoren und internationalen Handel weiter öffnen. Die Regierung steht unter Druck, nachdem sie kürzlich für 2022 eine der schlechtesten Wachstumsraten der vergangenen Jahrzehnte verkünden musste, wobei insbesondere die Exporte zuletzt stark einbrachen.

Eine Stadt, die besonders von der neuen chinesischen Reiselust profitiert, ist Frankfurt am Main. Für die Zeit zwischen Mitte Januar und Mitte Februar hätten sich "mindestens" zwölf Delegationen aus zehn Provinzen angekündigt, erklärt Veronique Dunai, Leiterin des China Competence Center der örtlichen Industrie- und Handelskammer (IHK). Bemerkenswert sei, dass die Reisetätigkeit mitten in die Zeit des chinesischen Neujahrsfestes zwischen dem 21. Januar und dem 5. Februar falle, das mit unserem Weihnachtsfest vergleichbar sei. Wegen des Flughafens ist Frankfurt ein beliebter Startpunkt oder Ende von Europatouren chinesischer Delegationen.

Anderswo warten sie noch, etwa in München. Dort wisse man nur von einer Delegation der Städte Taicang und Suzhou im Dezember, heißt es aus der Stadtverwaltung. Im Januar erwarten sie eine Delegation aus Bayerns Partnerprovinz Shandong. Weitere Delegationen seien nur "unverbindlich" angekündigt. "Ein signifikanter Anstieg ist bislang nicht zu verzeichnen."

Ein Hindernis ist der Deutschen Handelskammer in China (AHK) zufolge unter anderem die restriktive Visavergabe der deutschen Konsulate. Deutschland verlange als einziges EU-Land von Geschäftsreisenden aus China noch einen Nachweis über die Notwendigkeit der Reise. Das Auswärtige Amt begründet das damit, dass auch die chinesische Seite solche Nachweise verlangt. Einen sprunghaften Anstieg der Anträge für Schengenvisa gab es laut Ministeriumszahlen bereits im Sommer: von 760 im Juli auf 2000 im August. Im Dezember waren es nur 1700. Dabei wurde nicht erfasst, wie viele davon Anträge für Delegationsreisen waren.

Touristen müssen jedoch noch warten, derzeit vergeben weder Deutschland noch China entsprechende Visa. Auch haben die chinesischen Behörden in den vergangenen Jahren Reisepässe generell nicht verlängert. Zusammen mit der immer noch reduzierten Zahl kommerzieller Flüge schafft das einen Flaschenhals, der eine massenhafte Reisebewegung verhindert.

Der Frankfurter IHK-Vertreterin Dunai zufolge sind die Delegationsteilnehmer insbesondere an einem "aktuellen Stimmungsbild" interessiert. "Man muss sich klarmachen, dass fast drei Jahre lang kein persönlicher Austausch zwischen China und Deutschland möglich war." Laut dem Chef des Münchner Reiseveranstalters Kaiyuan, Hongtu Zhou, der Delegationsreisen organisiert, wollen die teilnehmenden Regierungsvertreter "ausländische Investoren dazu bewegen, weiterhin in China zu investieren". Die Unternehmensvertreter wollten wiederum Kunden besuchen, neue Geschäfte ausloten und abschließen.

Aus deutscher Sicht ist der Investitionsstandort China weniger attraktiv, sagt eine Umfrage

Während die beteiligten Firmen, Verbände sowie chinesische Medien von einem großen Interesse auf deutscher Seite berichten, zeigt eine Umfrage der AHK vom Dezember unter deutschen Firmen in China ein anderes Bild. Darin gaben 58 Prozent an, dass die Attraktivität von Deutschlands wichtigstem Handelspartner als Investitionsstandort im Vergleich zu anderen Märkten abgenommen habe. "Das Geschäftsvertrauen hat einen historischen Tiefstand erreicht", hieß es im AHK-Bericht. Auch der Bereichsleiter International der IHK München, Christoph Angerbauer, sieht bei den deutschen Firmen Zurückhaltung. Die politischen Spannungen zwischen Peking und dem Westen hätten zu einer "Neubewertung der Risiken" bei den Unternehmen geführt.

Bis wieder so etwas wie Normalität in den Handelsbeziehungen zwischen Deutschland und China eintritt, wird es noch dauern. Corona hat viele Vorhaben verzögert, die jetzt erst wieder Schwung aufnehmen müssen. So sollte die "Hainan Bielefeld University of Applied Sciences", offiziell die erste unabhängige ausländische Hochschule in China, ursprünglich 2021 den Lehrbetrieb aufnehmen. Jetzt ist laut einem Sprecher der FH Bielefeld Herbst 2023 geplant - wenn alles glattläuft.

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