Süddeutsche Zeitung

Führungskrise der CDU:Die CDU sollte von Spahn, Laschet und Merz Antworten fordern

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Das größte Manko ist, dass potenzielle Wählerinnen und Wähler nicht mehr wissen, wofür die Partei eigentlich steht. Die Auswahl von Parteichef und Kanzlerkandidat darf kein Wettbewerb der Gefühle werden.

Kommentar von Stefan Braun

Seit die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer ihren Verzicht erklärt hat, wünschen sich in der Partei immer mehr Frauen und Männer eine friedliche, zwischen den potenziellen Kandidaten ausgehandelte Lösung für die Nachfolge. Viele scheuen einen Konflikt, der die Partei spalten könnte. Nach einem Jahr, in der die CDU nie ganz zur Ruhe kam, sehnen sie sich nach einer geeinten, geschlossenen Führung. Das ist verständlich. Und doch wäre es ein schwerer Fehler, den Kandidaten so zu bestimmen.

Das größte Manko der Partei liegt nicht darin, dass die CDU zu viele inhaltliche Konflikte ausgetragen hat. Es ist die Tatsache, dass die Öffentlichkeit in existenziellen Fragen gar nicht mehr weiß, wofür die Partei eigentlich steht. Wofür sie kämpft, was sie antreibt, wie sie sich die Zukunft des Landes vorstellt. Diese Schwäche war schon beim ersten Wettbewerb um die Nachfolge Angela Merkels im Herbst 2018 für jeden ersichtlich. Antworten aber hat es keine gegeben. Will sich die CDU retten, darf sich das nicht wiederholen.

Was immer Kramp-Karrenbauer also in den nächsten Tagen mit den Kandidaten und der Unionsspitze bespricht - die CDU muss die Auswahl anders organisieren. Das heißt nicht, auf einen Wettbewerb und auf Regionalkonferenzen zu verzichten. Wer sich an den Herbst 2018 erinnert, weiß genau, welche Mobilisierung und Leidenschaft beides auslöste, zumal bei denen, die das Gefühl haben, zu wenig zu Wort zu kommen. Als Ort für Debatte und Wettstreit bleiben Regionalkonferenzen unverzichtbar.

Die Schwäche damals lag darin, dass Kramp-Karrenbauer, Friedrich Merz und Jens Spahn nicht gezwungen waren, sich inhaltlich festzulegen. Sie konnten ein bisschen über dieses und jenes reden und wurden genauso befragt. Ein Verfahren, das sich an existenziellen Zukunftsthemen orientiert, hat es nicht gegeben. So wurde der Wettstreit zu einem Wettbewerb der Gefühle - bei den einen getragen vom Motiv, die Ära Merkel zu beenden, bei den anderen, den alten Merkel-Widersacher Merz zu verhindern. Beide Motive waren nachvollziehbar. Aber sie gaben keine Antwort auf das, was die CDU am dringendsten braucht: eine Idee für Deutschland und Europa im Jahr 2030.

Die Kandidaten für den Parteivorsitz müssen erklären, wofür sie stehen

Diese zu entwerfen muss oberste Aufgabe eines jeden sein, der künftig die CDU führen will. Was konkret heißt es, Europa zu stärken? Mehr Geld? Mehr Industriekooperation? Mehr geteilte Last in sozialen Fragen? Oder auch Zugeständnisse an die Osteuropäer in Flüchtlingsfragen? Was bedeutet es, dass die Welt dramatisch auseinanderfällt und die Putins, Erdogans, Xis und Trumps den Ton angeben? Mehr Geld für die UN? Mehr eigene Initiativen? Oder doch auch ein ehrliches Werben für eine stärkere Bundeswehr? Und: Mit welchen Mitteln soll die soziale Spaltung im Land überwunden werden? Mit welchen das Klima gerettet und mit welchen die Wettbewerbsfähigkeit gegen China und die USA verteidigt werden?

Das sind längst nicht alle Fragen. Aber es sind Fragen, ohne deren Beantwortung die CDU - egal mit welchem Kandidaten - nicht mehr auf die Beine kommt. Umgekehrt ausgedrückt: Werden Laschet, Merz und Spahn gezwungen, darauf Antworten zu geben, wird man schnell sehen, wie viel sie als Politiker können. Ob sie nur Floskeln liefern oder echte Ideen; ob sie Vertrauen erzeugen oder es durch fehlende Ernsthaftigkeit verspielen. Ob sie also das Zeug dazu haben, Kanzler zu sein.

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Quelle:
SZ vom 17.02.2020
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