Süddeutsche Zeitung

CDU nach Thüringen-Wahl:Kramp-Karrenbauer fordert ihre Gegner heraus

Lesezeit: 4 min

Von Robert Roßmann, Berlin

Es war nur ein Scherz, aber er enthielt - wie sich rasch zeigen sollte - auch eine allzu berechtigte Befürchtung. Eva Christiansen gehört zu den engsten Vertrauten Angela Merkels, Hendrik Hoppenstedt ist Staatsminister im Bundeskanzleramt. Die beiden kommen oft gemeinsam zu den CDU-Vorstandssitzungen - sie sind so etwas wie Adjutanten der Kanzlerin. Normalerweise verschwinden sie wortlos in der CDU-Zentrale. Nicht so an diesem Montag.

Im Foyer des Adenauer-Hauses spricht gerade JU-Chef Tilman Kuban mit zwei Journalisten. Da ruft ihm Hoppenstedt im Vorübergehen zu: "Mach keinen Scheiß!" Kuban versucht, lustig zu retournieren: "Mach keinen Scheiß? Das macht der Carsten hier", ruft er zurück. Und deutet auf Carsten Linnemann, den Chef des Wirtschaftsflügels, der neben ihm gerade ein Fernseh-Interview gibt. Ein paar Minuten später beginnt die Vorstandssitzung - die vor allem wegen Kuban und Linnemann denkwürdig wird.

Am Vortag hat die Partei in Thüringen ein katastrophales Ergebnis erzielt. Mehr als elf Prozentpunkte Verlust. Nur auf Platz drei in einem Land, in dem die CDU schon mit absoluter Mehrheit regiert hat. Und der Thüringer Spitzenkandidat Mike Mohring sagt, er wolle mit dem linken Ministerpräsidenten Bodo Ramelow über dessen Pläne für eine neue Regierung reden - auch wenn er eine Koalition mit der Linken am Montagabend erneut ausschließt. Es brodelt in der Union. Und Kuban und Linnemann - die beiden verstehen sich gut - sind diejenigen, die in der Vorstandssitzung ihrer Verärgerung am deutlichsten Ausdruck verleihen.

Linnemann will Mohring Gespräche mit der Linken untersagen lassen

Linnemann verlangt Teilnehmern zufolge ein Votum des Vorstands gegen Verhandlungen mit Ramelow. Eine Zusammenarbeit mit den Linken würde die CDU zerreißen, sagt er, es wäre ihr Ende als Volkspartei. Wenigstens in dieser Frage müsse die CDU doch einmal Haltung beweisen. Bereits jetzt werde die Union als beliebig wahrgenommen, schon die Koalitionen mit Grünen seien an der Basis nicht einfach zu vermitteln, sagt Linnemann. Die Linkspartei habe ein ganz anderes Wirtschafts- und Gesellschaftsbild als die CDU, da sei doch überhaupt keine Zusammenarbeit möglich.

Mit seiner Aversion gegen Bündnisse mit Linken trifft Linnemann eine breite Stimmung in der Partei. Aber ein Vorstandsvotum würde als Misstrauensbekundung gegenüber Mohring wahrgenommen werden. Und so stemmt sich Annegret Kramp-Karrenbauer dagegen. Die CDU-Chefin verweist auf den Beschluss des Parteitags, der würde doch ausreichen. Auch die Kanzlerin meldet sich zu Wort - sie argumentiert genauso. Der Vorstand verzichtet auf eine Abstimmung.

Das Problem vom Tisch hat Kramp-Karrenbauer damit aber nicht. Der frühere SPD-Chef Kurt Beck geriet in die Bredouille, als er überraschend seinen Kurs gegenüber den Linken lockerte. Jetzt verliert die CDU-Chefin an Autorität, weil sie nicht verhindern kann, dass Mohring mit Ramelow reden wird. Kramp-Karrenbauer muss sogar froh sein, dass Mohring sie nicht offen attackiert. Zu eindeutig sind ihre Schwächen und der schlechte Zustand der Bundes-CDU mitverantwortlich für das desaströse Wahlergebnis in Thüringen.

Mohring weist auf seine Art darauf hin: Die CDU habe in Thüringen mit großem Vorsprung die meisten Direktmandate gewonnen, sagt er. Bei den Erststimmen für die Kandidaten in den Wahlkreisen liege man auf Platz eins. Nur bei den Zweitstimmen für die CDU-Liste sei man auf Rang drei abgestürzt. Das zeige doch, dass es vor allem um ein generelles Problem der CDU gehe.

Noch viel unangenehmer als Linnemanns Vorstoß ist für Kramp-Karrenbauer aber der Auftritt Kubans in der Vorstandssitzung. Der klagt nämlich unverblümt darüber, dass es in der CDU "eine offene Führungsfrage" gebe - und fordert, dass die Kanzlerkandidatur geklärt werden müsse. Es ist ein direkter Angriff auf Kramp-Karrenbauer. Und es ist nicht der erste in diesen Tagen.

Am späten Sonntagabend hatte bereits Friedrich Merz getwittert: "Das Wahlergebnis von Thüringen kann die CDU nicht mehr ignorieren oder einfach aussitzen." Armin Laschet, auch er ein möglicher Kanzlerkandidat, hatte sich beinahe demonstrativ kritisch über Kramp-Karrenbauers Syrien-Vorstoß geäußert. Und Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer ließ seinem Unmut schon vor Beginn der Vorstandssitzung freien Lauf. Er habe die Sorge, dass "in Berlin alles weiter geht wie bisher", sagte er. Nur wenn man "die Sachen wirklich klar beim Namen benennt und bereit ist, auch Konsequenzen zu ziehen", könne es "einen Aufwärtsschub geben".

So emotional, berichtet ein Sitzungsteilnehmer, habe er die Chefin noch nicht erlebt

Vermutlich reagiert die CDU-Chefin in der Vorstandssitzung auch deshalb heftig auf Kubans Vorstoß - ein Teilnehmer sagt anschließend, so emotional habe er die Vorsitzende noch nie erlebt. Kramp-Karrenbauer weist darauf hin, dass sie auf dem letzten Parteitag zur Vorsitzenden gewählt worden sei. Und dass sie immer gesagt habe, über die Kanzlerkandidatur werde erst Ende 2020 entschieden. Wenn jemand vorher entscheiden wolle, könne er das ja verlangen und einen Antrag auf dem kommenden Parteitag im November stellen.

Es ist eine Kampfansage an ihre Gegner, für die sie im Vorstand viel Applaus bekommt. In der Sitzung gibt es niemand, der Kuban beispringt. Die Unzufriedenheit vieler Parteigranden mit Kramp-Karrenbauer ist zwar groß, aber die meisten halten es nicht für dienlich, den Streit auf diesem Weg oder schon jetzt auszutragen. Nach der Vorstandssitzung gibt die CDU-Chefin zusammen mit Mohring eine Pressekonferenz.

Und offenkundig hat sie sich dafür entschieden, in die Vorwärtsverteidigung zu gehen. Es sei richtig, dass vom Vorsitzenden der Jungen Union die Führungsfrage gestellt worden sei, sagt Kramp-Karrenbauer auf Nachfrage. Sie bleibe aber bei ihrer Position, dass erst der Parteitag 2020 über die Kanzlerkandidatur entscheiden solle. Als sie 2018 CDU-Chefin geworden sei, habe sie darauf hingewiesen, dass Kanzleramt und CDU-Vorsitz eigentlich in einer Hand liegen sollten. Ansonsten gebe es genau die Unruhe, die gerade in der Union zu spüren sei. Sie sei ihrer Verantwortung in dieser Lage bisher gerecht geworden, sagt Kramp-Karrenbauer. Andere in der Union müssten sich aber fragen, ob dies auch für sie gelte. Und dann sagt sie auch öffentlich: "Wer immer meint, die Frage müsse jetzt in diesem Herbst entschieden werden, der hat auf dem Bundesparteitag die Gelegenheit dazu."

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SZ vom 29.10.2019
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