Süddeutsche Zeitung

CDU-Aufsteiger Jens Spahn:Ein Mann wie eine Walze

Lesezeit: 6 min

Einmal in Fahrt, macht Jens Spahn platt, was ihm in den Weg kommt. Der 32-jährige Abgeordnete steht für die nächste Generation christdemokratischer Politiker: Gerade frech genug, um aufzufallen, gerade angepasst genug, um durchzugehen, fachlich versiert, immer auf Sendung. In einem Jahr könnte Spahn Gesundheitsminister werden.

Guido Bohsem

Die Leute in Ahaus und wahrscheinlich die im ganzen Kreis Borken lassen sich in zwei Gruppen teilen. Das sind die, die Jens Spahn duzen, und die, die ihn noch nicht duzen. Man kennt den Namen Ahaus, weil es dort ein Atommüll-Zwischenlager gibt. Auch das hat mit Jens Spahn zu tun, aber davon später.

Ahaus liegt gleich an der niederländischen Grenze im westlichen Münsterland. Das Land dort ist fett und saftig. Die Wiesen und Bäume, das Panorama glänzt so satt, als habe man es eben erst durch den Photoshop gejagt, mitsamt den Kühen, Schweinen und Häusern. Jeder größere Ort trägt ein Wappen. Für Schöppingen steht ein Schaf auf grünem Grund, und das von Heiden sieht aus wie ein Twingo im Tunnel. Auf der Hauptverkehrsstraße in Ahaus sind die Parkplätze einzeln markiert. Akkurat. Geht man mit Spahn dort entlang, steht fast an jeder Ecke einer und ruft "Hallo, Jens". Willkommen im Jens-Spahn-Land!

Ein Unbekannter in einer Bilderbuchwelt

Jens wer? Jens Spahn, 32 Jahre alt, 1,91 Meter groß, Schuhgröße 49, meistens unrasiert und ohne Binder, schwarze Designer-Brille - eine von denen, die nicht vintage sind, sondern retro. Jens Spahn, CDU, gesundheitspolitischer Sprecher der Union im Bundestag, einer, der das System renovieren und nicht auf einen Schlag umkrempeln möchte. Jens Spahn, Abgeordneter des Wahlkreises 125, Steinfurt I - Borken I, und schwul. Ein Mann, der so ist wie Ahaus. Man kennt ihn aus den Nachrichten, doch weiß man nicht, wer er ist.

Die jungen Hoffnungsträger der Union haben in dieser Legislaturperiode allesamt Fehler gemacht. Karl-Theodor zu Guttenberg nahm es nicht so genau mit seiner Doktorarbeit und lebt auf Bewährung. Norbert Röttgen versemmelte den Wahlkampf in Nordrhein-Westfalen, wurde von Kanzlerin Angela Merkel aussortiert. Kristina Schröder kämpft noch im Familienministerium, offenbar vergebens.

Spahns Zeit wird kommen. 2013, nach der Bundestagswahl werden die Karten neu gemischt, und wie es aussieht, könnte er sogar neuer Gesundheitsminister werden. In jedem Fall steht er für die nächste Generation Konservativer. Gerade frech genug, um aufzufallen, gerade angepasst genug, um durchzugehen, fachlich versiert, rhetorisch gewandt, immer auf Sendung.

Spahn walzt durch die Menge

Es ist Freitag. Jens Spahn sitzt auf einer hellgelben Asphaltwalze und gibt Gas. Er ist auf Tour durch seinen Wahlkreis, und er besucht Ulrich Bogenstahl, einen Bauunternehmer aus Legden (das sich Lechten ausspricht). Natürlich fährt Spahn nicht die ganze Zeit mit einem 2,5-Tonnen-Gerät durch die Gegend, aber bei Bogenstahls auf dem Hof steht so ein Ding rum. Also setzt er sich drauf und rumpelt mit einem Mörderlärm grinsend über das Gelände, vorbei am eingezäunten Campingwagen des Firmenchefs. Man fragt sich, ob er weiß, wo die Bremsen sind. "Wollte ich schon immer mal machen", sagt er später.

Die Walzen-Fahrt von Legden war keine Premiere. Das erzählen jedenfalls Menschen, die mit Spahn in Berlin zusammenarbeiten und auch die, die gegen ihn arbeiten. Einer, der schon lange seine Strippen in der Gesundheitspolitik zieht, sagt nur: "Walze? Das passt." Einmal in Fahrt, macht Spahn platt, was ihm in den Weg kommt.

Wie es ist, wenn die Spahn'sche Walze rollt, hat auch Rainer Hess erfahren. Hess, bald 72, war bis vor Kurzem Vorsitzender des Gemeinsamen Bundesausschusses. Das ist das unbekannte, aber wichtige Gremium, das festlegt, welche Therapien oder Medikamente die Kassen bezahlen. Sogar in der missgünstigen Gesundheitsbranche gilt Hess als Respektsperson - wegen seiner Verdienste und wegen seines Alters. Sein Fehler war, sich kritisch zu einem Gesetzesvorhaben der Koalition geäußert zu haben. Also rüstete Spahn sich zu einer Attacke gegen den 40 Jahre älteren Mann.

"Sagen Sie bitte nur ja oder nein"

Hess war als Sachverständiger in einer Anhörung geladen, und in der Regel strahlen diese Sitzungen eine Dynamik aus wie sie sonst nur der Festakt zum Totensonntag verspricht. Spahn jedoch verwandelte die Sitzung in einen Gerichtsfilm - die Stelle, wo der junge Staatsanwalt den zwielichtigen Zeugen ins Kreuzverhör nimmt.

Hess, so legte er los, solle bitte nur mit Ja oder Nein oder in präzisen Zahlen antworten. Und dann ratterte er die Fragen runter: "Herr Doktor, würden Sie mir zustimmen, dass . . . "; und: "Stimmen Sie mir zu, Herr Doktor Hess, dass . . ." - in diesem Stil.

Eine Antwort des GBA-Chefs quittierte er mit der Bemerkung: "Ich werte das als Ja." Worauf Hess erbost erwiderte: "Nein!"

Am Ende der Vorstellung rügte die Ausschuss-Vorsitzende Carola Reimann den jungen Abgeordneten: Alle Sachverständigen seien Gäste des Bundestages. "Und da erwarte ich auch, dass sie angemessen respektvoll behandelt werden." Spahn sammelte seine Unterlagen ein und auch die anderen CDU-Abgeordneten und verließ unter Protest den Raum. Nicht, dass ihn das viel gekostet hätte: Der Rest der Anhörung dauerte nur noch etwa 20 Minuten.

Ein echter Wutausbruch? Oder Kalkül? Fragt man Spahn, ob er aufbrausend ist oder jähzornig, gar nachtragend, sagt er: "Ich bin ein ruhiger Typ. Egal, was man tut, welche Position man vertritt, ruhig bleiben ist immer wichtig." Das ist sein Bild von sich selbst. Das will er in den Talkshows zeigen. So versteht er seinen Politikstil. Looks matter - Aussehen, Haltung ist wichtig. Die viele Arbeit, das Aktenwälzen, das Pauken, den Ärger - das soll man nicht sehen.

Spahn mag Fotos. Auf jedem Termin seiner Wahlkreis-Tour, sei es im Krankenhaus oder in der Kneipe, fragt er zum Schluss: "Wollen wir noch ein Foto machen?" - und der mitgereiste Praktikant zückt die Kamera. Spahn zeigt sein linkisches, aber sympathisches Grinsen mit großen Augen hinter den Brillengläsern. Und er lässt wirklich keine Gelegenheit aus: Auf einem Foto sitzt er mit offenem Mund im Behandlungsstuhl beim Zahnarzt. Der Doktor schaut sich sein Gebiss an, und im Hintergrund strahlen die Parteifreunde.

Es gibt sogar "spahntv"

Presse, Öffentlichkeitsarbeit, das ist sein Ding. Seine Internetseite ist prall gefüllt, er betreibt den Spahn-Blog, er ist bei Facebook, bei Flickr, und Journalisten füttert er mit Sammel-SMS. Knapp sind die und mit Schmackes: "Ideal wäre, wenn die reichen Kassen Prämien ausschütteten", "In Deutschland wird zu oft und zu früh operiert", oder "Jedes Jahr die gleiche Panikmache der Kassen". Die Sammlung von Videoclips auf seiner Seite heißt "spahntv".

Als junger Abgeordneter ist es wichtig, Profil zu gewinnen, bekannt zu werden, und das am besten auf Kosten einer mächtigen Lobby. Zum Beispiel die Senioren. Also meckerte Spahn über eine Rentenerhöhung von 1,1 Prozent. Es ging ihm ums Prinzip. Seinen Kritikern war das egal. Am Ende erhielt er Morddrohungen. Die nordrhein-westfälische Senioren-Union versprach ihm das Ende seiner Karriere. In Briefen und Anrufen wurde er "Hosenscheißer" genannt und "Rotzlöffel". Es ging um 7,45 Euro für den Durchschnittsrentner.

Als Spahn sich zum ersten Mal für den Bundestag bewarb, war er 21. Am Tag der Aufstellung hatte er seine Banklehre abgeschlossen. Nur deshalb konnte er Bankkaufmann unter die Bewerbung schreiben, nicht Azubi. Der Gegenkandidat war Favorit. Spahn mobilisierte seine Truppen besser. Das Gerücht sagte, dass die andere Seite einen letzten Fragesteller auftreten lassen wollte: "Sind sie schwul, Herr Spahn?", sollte der fragen. Niemand meldete sich. "Hat noch jemand eine Frage?", fragte deshalb die Vorsitzende. Niemand meldete sich. Sie fragte dreimal. Niemand meldete sich. Man kann sich vorstellen, wie langsam die Minuten damals verronnen sind.

Homosexualität? Kein Thema mehr in der Union.

Spahn spricht das Thema nicht an, aber er macht auch kein Geheimnis draus. Er setzt sich für die Belange von Schwulen und Lesben ein. Man darf ihn fragen:

"Ist Homosexualität ein Problem?"

"Nein, für Sie?"

"Nein, aber ich könnte mir vorstellen, dass es für viele in der Union noch immer ein Problem ist."

"Das gilt nur noch für wenige. Das ist kein großes Thema mehr."

Vielleicht ist es kein großes Thema mehr. Aber es ärgert Spahn, wenn die alten Vorurteile aufscheinen, insbesondere wenn es in der Fraktionssitzung geschieht. Da kann es passieren, dass ein Abgeordneter auf einmal die harmlos klingende Frage stellt: "Was ist eigentlich die Magnus-Hirschfeld-Stiftung, und warum kriegen die Geld von uns?" Pause. Die anderen Kollegen raunen und murmeln amüsiert, und in Minuten wissen die meisten, dass sich die Stiftung der Erforschung der Sexualität widmet. Zentrales Projekt zurzeit ist die Verfolgung Schwuler unter den Nazis.

Politisiert hat ihn nicht, dass er anders war in einer Gegend, die immer schon CDU gewählt hat. Politisiert hat ihn das Zwischenlager in Ahaus. Ein grünes Thema hat aus ihm einen Schwarzen gemacht. Spahn war noch in der Schule als es regelmäßig Proteste und Demonstrationen gab. Die Lehrer mobilisierten, die Grünen ohnehin. "Das ging mir gegen den Strich." Er kam als Protest-Protestler zur CDU.

Merkel muss scheitern, damit Spahn hoffen kann

Politik ist Spahns Leben. Gesundheit interessiert ihn, der demografische Wandel, und was dieser schleichende Umbruch mit den Sozialversicherungssystemen macht. Politik als Nachhaltigkeit, ein grünes Thema, das er für die Union besetzen will. "Ich will das nicht immer machen, aber im Moment macht mir die Politik noch Spaß."

Da ist noch mehr drin. Das denken jedenfalls die Lobbyisten im Gesundheitssystem. Sie umschwirren ihn auf den vielen Veranstaltungen, sie schmeicheln und bitten um Termine. Nächster Halt Gesundheitsministerium? Der Posten gilt als ungemütlichster im Kabinett. Das Amt macht nicht beliebt. Man kann nicht gewinnen, bestenfalls spielt man unentschieden. Die SPD hat diese Erfahrung gemacht. Sie würden es derzeit wohl nicht mehr nehmen.

Kommt Spahn zum Zug, wäre es ein Karrieresprung auf Basis einer Niederlage. Die schwarz-gelbe Regierung muss abgewählt und ersetzt werden durch eine Koalition aus Union und SPD. Erst wenn Merkel scheitert, kann er sich Hoffnung machen.

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Quelle:
SZ vom 12.07.2012
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