Süddeutsche Zeitung

Bundeswehr:Spionage für Teheran

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Von Florian Flade

Vor kurzem bekam ein Mann in der Konrad-Adenauer-Kaserne der Bundeswehr im Süden von Köln seine Entlassungsurkunde überreicht. 31 Jahre lang war der Soldat für den Militärischen Abschirmdienst (MAD) tätig, die meiste Zeit davon in der Spionageabwehr. Sein letzter Fall landete jüngst nicht nur vor Gericht - sondern endete auch mit einer ungewöhnlich hohen Haftstrafe für einen enttarnten Spion.

Die Jagd auf die Agenten fremder Mächte, sie zu enttarnen und ihre Methoden zu entlarven, galt lange als die Königsdisziplin der Geheimdienste. Auch beim MAD. Mittlerweile hat die Suche nach Extremisten oder gar Terroristen in der Bundeswehr an Bedeutung gewonnen, die Truppe aber steht noch immer auch im Fokus ausländischer Geheimdienste.

Das zeigt der Fall von Abdul Hamid S., der in den vergangenen Wochen vor dem Oberlandesgericht Koblenz verhandelt wurde. Fast 20 Jahre lang arbeitete S. als Übersetzer und "landeskundlicher Berater" für die Bundeswehr - und hatte dabei auch Zugang zu geheimen Informationen. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass S. mehrfach brisantes Material an einen iranischen Geheimdienst verraten und dafür mehr als 30 000 Euro bekommen hat.

Das Ministerium für Nachrichtenwesen der Islamischen Republik Iran, kurz MOIS genannt, spioniert dem Verfassungsschutz zufolge in Deutschland schwerpunktmäßig iranische Oppositionelle aus. Aber auch bei der Proliferation, also der illegalen Beschaffung von Gütern zum Bau von Nuklearwaffen, soll der Geheimdienst eine Rolle spielen. Und offensichtlich gehört auch das deutsche Militär zu den Zielen der iranischen Agenten.

Am 23. März fiel nun das Urteil: Abdul S. wurde wegen Landesverrats in einem besonders schweren Fall zu sechs Jahren und zehn Monaten Gefängnis verurteilt. Seine ebenfalls angeklagte Ehefrau, die ihn beim Verrat unterstützt hat, bekam eine Bewährungsstrafe von zehn Monaten. Beide hatten die Taten eingeräumt.

Der Prozess gegen Abdul S. und seine Frau fand weitestgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Viele Akten des Verfahrens waren als "geheim" eingestuft worden. Selbst die Anklage wurde hinter verschlossenen Türen verlesen. Zu brisant sei das, was da verhandelt werde, entschied der Richter. Schließlich gehe es auch um Staatsgeheimnisse.

Abdul S. kam aufgrund seiner Sprachkenntnisse zur Bundeswehr

Im März 2017 waren die Ermittlungen gegen Abdul S. durch einen Hinweis eines ausländischen Nachrichtendienstes an den MAD ausgelöst worden. Jemand verrate deutsche Militärgeheimnisse an den iranischen Geheimdienst MOIS, so hieß es. Der Verdächtige sei ein Mann, wohl um die 50 Jahre alt. Und er spreche offenbar in Afghanistan geläufige Sprachen wie Dari oder Paschtu.

Wie der MAD feststellte, passten die Angaben zu erstaunlich vielen Mitarbeitern der Bundeswehr - immerhin mehrere hundert Personen. Bei genauerer Betrachtung wurde der Kreis der Verdächtigen jedoch immer kleiner. Bis nur noch einige wenige Männer im Visier des MAD standen, darunter auch Abdul Hamid S..

Der heute 51-Jährige wurde in der afghanischen Hauptstadt Kabul geboren und kam als Asylbewerber gemeinsam mit seiner Frau nach Deutschland. Mit dem Beginn des NATO-Einsatzes in Afghanistan nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 brauchte die Bundeswehr dringend Dolmetscher, die Sprachen aus der Region beherrschten. Und so kam Abdul S., der Paschtu, Dari, Farsi und Russisch spricht, zur Truppe.

Er war zunächst ein Vertragspartner, später dann ein sogenannter Sprachmittler mit festem Gehalt. Sein Einsatzort war das Bataillon Elektronische Kampfführung (EloKa) in der Heinrich-Hertz-Kaserne im rheinland-pfälzischen Daun. Diese Einheit der Bundeswehr, die streng abgeschirmt arbeitet, ist für die elektronische Aufklärung und Unterstützung der Truppe bei Auslandseinsätzen zuständig. Sie hört gegnerischen Funk, etwa der Taliban ab, und schützt die Kommunikationskanäle der eigenen Soldaten.

Durch seine Arbeit als Übersetzer hatte Abdul S. auch Zugang zu geheimen Informationen. Eine Sicherheitsüberprüfung zu Beginn seiner Tätigkeit war positiv verlaufen, er hatte die höchste Stufe SÜ III erhalten. Jetzt aber war er in den Fokus der Spionageabwehr des MAD geraten. Und die setzte, wie es aus Sicherheitskreisen heißt, ab Juni 2017 das "gesamte Besteck" gegen S. ein. Er wurde observiert, seine Telefone und E-Mails überwacht, seine Bankkonten und Reisebewegungen überprüft. Dabei erhärtete sich der Verdacht.

Die MAD-Agenten stellten fest: Abdul S. war zwischen 2013 und 2017 mindestens 19 Mal in das europäische Ausland gereist. An den selben Tagen reisten auch den Sicherheitsbehörden längst bekannte Angehörige des iranischen Geheimdienstes, meist zu zweit, in genau dieselben Städte. Teilweise nächtigten die Iraner sogar im selben Hotel wie der Bundeswehr-Mitarbeiter.

Bei den Ermittlern des Abschirmdienstes war man sich sicher, dass Abdul S. bei seinen Kurztrips seinen sogenannten "Führungsoffizier" des iranischen Dienstes traf. Und ihm Dienstgeheimnisse aus der Bundeswehr übergab. Der letztendliche Beweis für eine Weitergabe aber fehlte noch. Und so beschloss das MAD, dem Übersetzer eine Falle zu stellen: Sie erstellten eine täuschend echt wirkende Meldung, und ließen sie Abdul S. zukommen. Man hoffte, dass er umgehend seinen iranischen Führungsoffizier kontaktieren würde, um die vermeintliche Informationen weiterzugeben. Genau das geschah auch.

Der Inhalt der fingierten Meldung war derart brisant, dass S. sofort den Kontakt aufnahm: Es gebe eine akute Bedrohungslage. Nach Erkenntnissen der Bundeswehr sei ein iranisches Konsulat im Nahen Osten in den kommenden Tagen stark gefährdet. Abdul S., so beobachtete der MAD, verließ daraufhin immer wieder hektisch seinen Schreibtisch. Für eine Reise und ein Treffen mit dem iranischen Führungsoffizier blieb keine Zeit mehr. Also merkte er sich offenbar Teile der Meldung und gab sie dann außerhalb seines Büros per Telefon weiter.

Der MAD konnte wenig später beobachten, dass die untergejubelten Informationen wohl tatsächlich beim iranischen Dienst angekommen waren - denn die Sicherheitsvorkehrungen am besagten Konsulat wurden plötzlich massiv verstärkt.

Eine Computerfestplatte liefert entscheidende Hinweise

Im September 2018 übernahm schließlich der Generalbundesanwalt den Fall. Er erwirkte einen Haftbefehl gegen Abdul S. wegen des Verdachts der geheimdienstlichen Agententätigkeit und ließ am 15. Januar 2019 dessen Wohnung in Bonn und ein Bankschließfach durchsuchen. Zahlreiche Asservate stellte das Bundeskriminalamt (BKA) sicher, darunter Mobiltelefone, Laptops und mehrere ausländische SIM-Karten. Und auch ein Kalender wurde beschlagnahmt, in dem sich verdächtige Eintragungen zu Reisen fanden.

Was genau Abdul S. den Iranern verraten hatte, wussten man bis zu den Durchsuchungen allerdings weder beim MAD noch beim BKA, das nun für die weiteren Ermittlungen zuständig war. Erst als auf einer Computerfestplatte Hinweise auf gelöschte Dateien entdeckt wurden, kam man der Sache näher. Es dauerte noch einmal mehrere Wochen bis das BKA die Daten wiederherstellen konnte.

Ein Gutachter des Bundesverteidigungsministeriums hat die Dokumente analysiert, die Abdul S. aus seinem Büro gebracht, zuhause eingescannt und dann auf USB-Sticks den iranischen Geheimdienstlern übergeben haben soll. Einige der Papiere seien gemäß Paragraph § 93 des Strafgesetzbuches als "Staatsgeheimnisse" zu bewerten, deren Weitergabe einen "schweren Nachteil für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland" bedeuten könnte, so der Gutachter.

Laut Urteil soll Abdul S. für seine Spitzeleien 34 500 Euro bekommen haben - diese Summe wurde als "Agentenlohn" eingezogen. Die Ermittler gehen allerdings davon aus, dass der iranische Dienst weitaus mehr Geld gezahlt hat.

In den Sicherheitsbehörden wird das Koblenzer Urteil gegen den Bundeswehr-Mitarbeiter, das in dieser Woche rechtskräftig wurde, als großer Erfolg gewertet. Man habe, so heißt es, eine "hochwertige Operation" des iranischen Geheimdienstes kaputtgemacht. Zudem hoffe man auf eine abschreckende Wirkung des Urteils: Immerhin ist Landesverrat eine der wenigen Straftaten, bei der nach deutschem Recht sogar eine lebenslange Freiheitsstrafe droht.

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