Süddeutsche Zeitung

Bundesregierung:Tag der offenen Fragen

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Franziska Giffey spricht bei einer Podiumsdiskussion über Ostdeutschland 30 Jahre nach dem Mauerfall. Aber nicht über ihre Entscheidung, nicht für den SPD-Vorsitz zu kandidieren.

Von Camilla Kohrs und Ekaterina Kel

Die Worte, mit denen die Moderatorin Bundesfamilienministerin Franziska Giffey ankündigt, fangen die Stimmung der vergangenen Tage gut ein: "Alle ziehen derzeit an ihr." Danach ist Giffeys kürzlich gefällte Entscheidung, nicht für den SPD-Vorsitz zu kandidieren, erst einmal kein Thema mehr - nicht bei der Podiumsdiskussion und auch nicht später im Publikum. Es ist Tag der offenen Tür der Bundesregierung, und Giffey will im Presse- und Informationsamt über "Deutschland nach 30 Jahren Mauerfall" diskutieren.

Der Saal ist gut gefüllt, vor allem ältere Leute sind an diesem Samstagnachmittag gekommen, um Giffey reden zu hören. Die Familienministerin aus Frankfurt an der Oder spricht mit zwei Gesprächspartnern über Ostdeutschland vor den Wahlen und die Entwicklung der vergangenen 30 Jahre. Die Ostdeutschen könnten stolz darauf sein, was sie nach der Wende geschafft haben, sagt Giffey. Dass 20 Prozent die AfD wählen wollten, sei schlimm. "Aber 80 Prozent wählen auch nicht die AfD." Diese Menschen müsse man stärken, sagt Giffey und erntet dafür viel Applaus.

"Alle ziehen derzeit an ihr", sagt die Moderatorin zur Ankündigung über die Familienministerin

Nach dem Gespräch geht ein Mann aus dem Publikum auf sie zu und wünscht ihr viel Glück. Er hoffe, dass sie weitermache. Zu ihrer Entscheidung gegen die Führungsebene will sie jedoch nichts weiter sagen. Derzeit wird Giffeys Doktorarbeit an der FU Berlin auf Plagiate überprüft. Falls die Prüfung negativ ausfällt, will Giffey ihren Rücktritt als Ministerin anbieten.

Eigentlich soll es am jährlichen Tag der offenen Tür nicht um Parteipolitik, sondern um die Arbeit der Bundesministerien gehen. Aber die Frage um den Parteivorsitz der SPD wird auch an diesem Wochenende nicht ausgeklammert. Zehntausende Besucher aus ganz Deutschland schauen sich die Regierungsgebäude an, Minister reden in Podiumsdiskussionen oder stellen sich in der Bürgerpressekonferenz den Fragen der Besucher. "Ich werde hoffentlich nicht gegrillt", sagt die Justizministerin Christine Lambrecht (SPD), bevor die Zuschauer ihre Fragen stellen dürfen - ganz im Stil der Bundespressekonferenz. Gegrillt werden - so nennen es vor allem Journalisten, wenn Politiker mit Fragen unter Druck gesetzt werden. Zu parteipolitischen Fragen oder zu der Kandidatur von Finanzminister Olaf Scholz äußert sich Lambrecht aber nur allgemein: Sie habe großen Respekt vor allen Kandidaten, die in dieser schwierigen Zeit für ihre Partei kämpfen wollen.

Auch Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) hat kein Interesse an der Chefposition in ihrer Partei. "Ich habe als Ministerin mit dem ganzen Klimaschutz so viel, was da in den nächsten Wochen kommt, dass ich glaube, dass andere da besser geeignet sind", erklärt sie in der Bürgerpressekonferenz. Später wird sie von einigen Jugendlichen auf der Bühne herausgefordert. Die Regierung solle für mehr Anreize zum Klimaschutz sorgen, sagt ein junger Mann. Das Thema sei bei ihr Chefinnensache, antwortet Schulze. Für andere ist es auch Reizthema: Am Sonntag entrollen Greenpeace-Aktivisten an verschiedenen Orten Plakate mit Köpfen von Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU), Wirtschaftsminister Peter Altmaier und Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner (beide CDU). "Wir ruinieren Ihre Zukunft" steht darauf.

Für Angela Merkel (CDU) scheint am Sonntag die Sonne, als sie gut gelaunt über den grünen Rasen im Kanzlerpark schlendert. Viele Besucher im Bundeskanzleramt haben sich schon Stunden im Voraus die besten Plätze gesichert, um ihre Kanzlerin ins Objektiv ihres Mobiltelefons zu bekommen - beliebtestes Motiv ist zweifelsfrei das Selfie, für das sich die Kanzlerin auch gerne Zeit nimmt. Andere Besucher rufen der CDU-Politikerin wohlwollend "Angie, halt die Stellung!" zu. Denn auch die eingefleischten Fans wissen: Lange wird Merkel diesen fein ausgearbeiteten Routine-Spaziergang, den sie Jahr für Jahr absolviert, nicht mehr machen können. Ihre letzte Legislaturperiode erreicht bald die Halbzeit. Mit dem Koalitionspartner SPD knarzt es an vielen Ecken - und ob Merkel im kommenden Jahr noch einmal im Garten spazieren geht, für die Selfies lächelt und Autogramme gibt, hängt nicht zuletzt davon ab, wen die SPD an ihre Spitze setzt.

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SZ vom 19.08.2019
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