Süddeutsche Zeitung

Rüge für das Parlament:Rechnungshof zweifelt an Verfassungsmäßigkeit der Fraktionsfinanzen

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Allein die Bundestagsfraktionen erhalten 120 Millionen Euro jährlich. Der Bundesrechnungshof beklagt, dass es keine Strafen für eine missbräuchliche Verwendung gibt - und dass Regeln für den Umgang mit Youtube oder Instagram fehlen.

Von Robert Roßmann, Berlin

Dass sich die Parteien nicht nur durch Mitgliedsbeiträge und Spenden finanzieren, sondern auch durch staatliche Zuschüsse, ist weithin bekannt. Dass die Fraktionen ebenfalls Geld vom Staat erhalten, weiß dagegen kaum einer. Dabei geht es auch hier um eine enorme Summe. Allein die Fraktionen im Bundestag bekommen jährlich 120 Millionen Euro. Zusätzlich erhalten sie Sachleistungen - dazu zählen etwa die Bereitstellung von Büroräumen oder die Nutzung von Bibliothek und Wissenschaftlichen Diensten. Zum Vergleich: Alle deutschen Parteien zusammen werden vom Staat mit 190 Millionen Euro unterstützt.

Die Parteien unterliegen inzwischen einer strikten Kontrolle, bei Verstößen gegen die Vorgaben müssen sie Strafen zahlen. Doch die Fraktionen können bisher vergleichsweise frei mit den staatlichen Zuschüssen umgehen. Sie sollen das Geld für ihre parlamentarische Arbeit ausgeben. Doch es gibt keine eindeutigen Regeln, was darunterfällt - und was nicht. Die Fraktionen setzen sich ihre Grenzen deshalb oft selbst. Vor allem in Wahljahren werden die Grenzen dann manchmal sehr weit gezogen - und aus "parlamentarischer Arbeit" auch eine, die eher Parteiarbeit ist.

Der Bundesrechnungshof will das jetzt nicht mehr hinnehmen. Er hat am Dienstag einen Bericht über die Regelungsdefizite bei den Fraktionsfinanzen vorgelegt - und deutliche Änderungen angemahnt.

Probleme wegen der Nutzung von Facebook, Twitter oder Youtube

"Für die Verwendung von Haushaltsmitteln durch die Bundestagsfraktionen gibt es keine klaren und praxistauglichen Regeln und kein wirksames Sanktionsregime", sagt der Präsident des Bundesrechnungshofes, Kay Scheller. Das sei "bedenklich" und berge "die Gefahr, dass Fraktionen diese Mittel für Parteiaufgaben oder gar Wahlkampfzwecke einsetzen". Unklar sei "insbesondere die Abgrenzung der zulässigen Unterrichtung der Öffentlichkeit von der unzulässigen Parteiwerbung".

Neue Formate in den sozialen Medien, die die Fraktionen zunehmend nutzen, würden dieses Problem verstärken, heißt es in dem Rechnungshofbericht. Über Plattformen wie Facebook, Twitter, Instagram und Youtube könnten die Fraktionen Millionen von Menschen erreichen und Wähler beeinflussen. Deshalb müsse verbindlich geregelt werden, was erlaubt ist und was nicht.

"Ohne Kontrolle und Sanktionen" stehe die verfassungsrechtliche "Legitimation des Systems der Fraktionsfinanzierung in Frage", sagt Scheller. Er kann sich bei seinem Urteil nicht nur auf die Expertise des Rechnungshofs stützen, Scheller hat auch unmittelbare Erfahrungen: Er war neun Jahre lang Fraktionsdirektor der Unionsfraktion im Bundestag.

"Die Fraktionen haben nichts zu befürchten, wenn sie sich nicht an Regeln halten"

Der Bundesrechnungshof hat zwar den Auftrag, die Verwendung der Mittel durch die Fraktionen zu prüfen, das Ergebnis übermittelt er der Bundestagsverwaltung. Diese fordere missbräuchlich verwendete Mittel aber "weder zurück, noch verhängt sie Sanktionen", erklärte der Bundesrechnungshof am Dienstag. Denn "für Rückforderungen und sonstige Sanktionen unmittelbar gegen die Fraktionen" gebe es keine gesetzliche Grundlage. Die Fraktionen könnten noch nicht einmal gezwungen werden, unzulässige Beiträge in den sozialen Medien zu löschen. "Die Fraktionen haben also nichts zu befürchten, wenn sie sich nicht an Regeln halten", klagt Scheller.

Der Bundesrechnungshof fordert deshalb, dass die Regelungslücken bei der Verwendung der staatlichen Fraktionszuschüsse rechtzeitig vor der Bundestagswahl geschlossen werden. Und er verlangt, endlich "gesetzliche Grundlagen für Rückforderungen und Sanktionen zu schaffen".

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