Süddeutsche Zeitung

Bundespräsident:Respekt für die junge Demokratie

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Frank-Walter Steinmeier besucht Gambia, das gerade die Diktatur überwunden hat - eine symbolische Visite.

Von Michael Bauchmüller, Banjul

Die "Ehrenfahrt" hat ganz bestimmt auch taktische Gründe. Zur Begrüßung fährt Adama Barrow mit dem Staatsgast aus Deutschland quer durch Banjul, Schaulustige säumen die Straße der Hauptstadt. Soll jeder sehen, dass Gambia international wieder Ansehen genießt - ein Jahr nach dieser wichtigen Wahl. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ist tatsächlich das erste europäische Staatsoberhaupt, das das kleine, bitterarme Gambia seit jenem Dezember 2016 besucht.

Noch immer sitzen viele Getreue des alten Regimes in Justiz und Militär

Gambia ist Afrikas jüngste Demokratie. Vor einem Jahr trat Barrow gegen seinen Vorgänger Yahya Jammeh an - und gewann. Jammeh hatte das Land fast 22 Jahre regiert. Er ließ Oppositionelle wegsperren oder verschwinden, schreckte vor Folter nicht zurück, zensierte die Presse. "Wir leben zwar hier an der Küste des Lächelns", sagt Gaye Sow. "Aber in dieser Zeit haben wir unser Lächeln verloren. Wir erobern es uns erst langsam zurück." Sow ist Anwalt, zu Zeiten der Diktatur verteidigte er deren Opfer. Jetzt aber zählt er zu einer achtköpfigen Abordnung gesellschaftlicher Gruppen, sie soll dem Gast aus Europa die Lage erklären. Es ist eine Abordnung voll banger Zuversicht.

Gemessen an seiner Größe war Gambia zuletzt das afrikanische Land, aus dem die meisten Flüchtlinge nach Europa kamen. "Die Leute hatten keine Hoffnung", sagt Fatima Sendeng. Jetzt aber sei vieles anders, die ersten Migranten kämen zurück. "Die Menschen glauben an das neue Gambia." Im alten Gambia hat Sendeng ihren Vater verloren, den Oppositionspolitiker Solo Sendeng. Aus der Haft kehrte er 2016 nicht mehr zurück, man hatte ihn zu Tode gefoltert. Heute kämpft sie um Gerechtigkeit für ihren Vater, aber das ist nicht leicht: Die alten Seilschaften gibt es immer noch. Mittlerweile haben sich 700 Opfer von Menschenrechtsverletzungen zusammengeschlossen, es gibt eine Wahrheitskommission, die Gambias Vergangenheit aufarbeiten soll. "Wir wollen nicht, dass das noch mal passiert", sagt der Manager Raffie Diab. "Wir müssen wachsam sein." Die Angst sitzt tief, und nicht ohne Grund.

In jenem Dezember des vorigen Jahres hatte Diab im Internet seinen Widerstand gestartet, das Schlagwort verbreitete sich rasch. Es hieß #GambiaHasDecided, Gambia hat entschieden. Damals hatte Jammeh zuerst seine Wahlniederlage eingeräumt, dies aber wenig später widerrufen. Kurz sah es so aus, als wolle er gewaltsam an der Macht bleiben. Erst auf Druck westafrikanischer Nachbarn setzte sich der Diktator mit Taschen voller Staatsgeld nach Äquatorial-Guinea ab. Aber 22 Jahre Diktatur verschwanden nicht mit ihm ins Exil. Viele von Jammehs Leuten bekleiden weiter wichtige Posten bei Militär und Justiz. Das macht die Lage immer noch so fragil.

Umso wichtiger ist für Barrow der hohe Gast. "Der Besuch des Bundespräsidenten ist historisch für Gambia", sagt Barrow. "Wir wollen eine neue Partnerschaft mit Deutschland." Er wollte selbst mal nach Deutschland auswandern, fast 30 Jahre ist es her. Behörden wiesen ihn aus. "Damals hat sich meine Denkweise geändert", sagt er bei einer Pressekonferenz mit Steinmeier. "Man muss an sich selbst glauben. Daran, dass ich es in meinem Land schaffe. Heute ist Gambia mein Europa." Die gambischen Journalisten applaudieren, und auch beim Bundespräsidenten liegt er damit richtig. Deutschland wolle seine Hilfe auf Länder konzentrieren, in denen der Wille zur Veränderung spürbar sei. "Das war ein Besuch, mit dem wir bewusst ein Zeichen setzen wollten", sagt Steinmeier zum Abschied. "Ich wünsche viel Erfolg bei der Gestaltung des politischen Wandels."

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Quelle:
SZ vom 15.12.2017
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