Süddeutsche Zeitung

Justiz:Höchster Richter in Bellevue

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Warum darf der Bundespräsident Straftäter begnadigen?

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Demnächst wird in Deutschland ein neuer Bundespräsident gewählt, und er wird wieder Frank-Walter Steinmeier heißen. Ein gelernter Jurist und vorbildlicher Demokrat bleibt also Inhaber eines Amtes, das immer noch eine leicht monarchische Tönung hat - und manchmal sogar über dem Recht schwebt.

In diese Richtung zielt jedenfalls ein Angriff, den die Initiative "FragDenStaat" führt. Sie hat den Bundespräsidenten vor dem Verwaltungsgericht Berlin wegen eines präsidialen Privilegs verklagt, das es aus den Tiefen des Kaiserreichs bis in die Bundesrepublik geschafft hat - das Recht, rechtskräftig verurteilte Straftäter zu begnadigen. Der Präsident möge doch bitte darüber Auskunft geben, wer in den Jahren 2004 bis 2021 begnadigt worden sei, fordert die Organisation.

Wie die Sache ausgeht, weiß man nicht, noch ist kein Prozesstermin in Sicht. Aber schon jetzt hat die Klage Zweifel gesät. Denn so richtig selbsterklärend ist es nicht, warum in einem ausdifferenzierten Rechtsstaat der außerhalb der Justiz angesiedelte Bundespräsident ein frei schöpferisches Gnadenrecht ausüben darf - und dies noch nicht einmal transparent machen muss. Wo doch der Strafprozess allerlei Korrekturmöglichkeiten für harte oder falsche Urteile kennt, von der Wiederaufnahme bis zur vorzeitigen Entlassung auf Bewährung.

Das Begnadigungsrecht des Bundespräsidenten gilt für bestimmte schwere Straftaten wie etwa Terrorismus und Spionage; für andere Delikte sind die Ministerpräsidenten zuständig. Geregelt ist es in Artikel 60 Grundgesetz. Ursprünglich war die Idee eng mit dem monarchischen Gottesgnadentum verknüpft. In der Praxis taugte das Gnadenrecht gelegentlich als eine Art Charisma-Booster für den sich barmherzig gebenden Herrscher. Als Friedrich Wilhelm Voigt durch unbefugtes Tragen einer preußischen Uniform in der Stadt Köpenick zwar die Strenge der Justiz, aber eben auch den Applaus des Publikums provoziert hatte, wusste Wilhelm II., was zu tun ist: 1908, nach nicht einmal der Hälfte der vierjährigen Haft, begnadigte er den populären Schuster.

Aber der Rechtsstaat tut sich schwer mit patriarchalen Gesten. Das Bundesverfassungsgericht akzeptierte 1969 nur unter Bauchschmerzen, dass Begnadigungen irgendwo abseits des Rechtswegs angesiedelt sind. Es deutete die kaiserliche Barmherzigkeit um in eine präsidiale Befugnis, "da helfend und korrigierend einzugreifen, wo die Möglichkeiten des Gerichtsverfahrens nicht genügen". Der Präsident als oberste Gerechtigkeitsinstanz, wenn man so will. Vor zwei Jahrzehnten begnadigte Johannes Rau die einstigen RAF-Mitglieder Adelheid Schulz und Rolf Clemens Wagner. Sein Nachfolger Horst Köhler prüfte dies im Fall von Christian Klar - beschied den Ex-Terroristen aber abschlägig.

Passt die präsidiale Gnade noch in die Zeit? Die Juristin Vivian Kube forderte kürzlich im Portal "Verfassungsblog" zumindest mehr Transparenz. Und die Strafrechtsprofessorin Elisa Hoven erinnert an willkürliche Begnadigungen einstiger Weggefährten durch Donald Trump. Ein antiquiertes Majestätsrecht, das nicht in einen demokratischen Rechtsstaat passe, schrieb sie. Es gehöre abgeschafft.

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