Süddeutsche Zeitung

Nationalsozialismus:Braune Kontinuität in Karlsruhe

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Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Carlo Wiechmann wollte den Mann unbedingt haben. Wolfgang Fränkel habe zwar eine "gewisse Neigung zum Einsiedlertum", schrieb der Oberbundesanwalt am 15. Juni 1951 ans Bundesjustizministerium. Aber das "mag sich auch aus den schweren Schicksalen erklären, die er durch die Zurücksetzung in der nationalsozialistischen Zeit" erlitten habe. Die NSDAP, so wurde kolportiert, habe Fränkels Beförderung zum Landgerichtsdirektor hintertrieben. Er sei zum Bundesanwalt "hervorragend geeignet und geradezu prädestiniert", warb der Behördenchef. Mit Erfolg: 1951 wurde Fränkel zum Bundesanwalt gewählt. Der Rest der Geschichte ist bekannt. Elf Jahre später stieg Fränkel zum Generalbundesanwalt auf - und wurde nach wenigen Monaten aus dem Amt gefegt, nachdem die Öffentlichkeit erfahren hatte, mit welch großem Ehrgeiz er einst bei der Reichsanwaltschaft der Nazis auf Todesurteile hingewirkt hatte.

Den Werbebrief für Fränkel hat Christoph Safferling in den Akten gefunden. Der Professor in Erlangen war Co-Autor des "Rosenburg-Projekts" zur Aufarbeitung von NS-Kontinuitäten im Bundesjustizministerium. Nun arbeitet er im Auftrag von Generalbundesanwalt Peter Frank die braune Vergangenheit der frühen Bundesanwaltschaft auf, zusammen mit dem Historiker Friedrich Kießling. Bei einem Symposium zum "Staatsschutzstrafrecht" in Deutschland gaben die beiden Wissenschaftler einen ersten Einblick in ihre Arbeit, die nächstes Jahr abgeschlossen wird.

Die Causa Fränkel ist zwar das augenfälligste Beispiel für Kontinuitäten von der NS-Zeit zur Bundesanwaltschaft, die 1953 unter ihren 28 Mitarbeitern immerhin 22 ehemalige NSDAP-Mitglieder zählte. Natürlich war längst nicht jeder so belastet wie Fränkel. Zuvor hatte Max Güde die Karlsruher Behörde geleitet, der als gläubiger Katholik von den Nazis nicht sonderlich wohlgelitten war und die Nazizeit in einem Ein-Mann-Amtsgericht im Schwarzwald verbrachte. Andererseits lässt sich am Fall Fränkel schon illustrieren, welchen Geist NS-belastete Ermittler in eine Behörde tragen konnten, die immerhin für das politisch heikle Feld des Staatsschutzes zuständig war. Noch 1964 rechtfertigte Fränkel seine Vergangenheit, wie Safferling einer Disziplinarakte entnommen hat: "In der Not und Gefahr, die in solcher Härte und Unentrinnbarkeit kein anderes Volk auch nur entfernt so schwer traf wie das deutsche, war es nicht nur verständlich, sondern sittlich und rechtlich geradezu geboten, dass Gesetzgeber und Rechtsprechung zum Schutze der ihnen anvertrauten materiellen und geistigen Werte zu den äußersten und wirksamsten Mitteln gegen diejenigen einschritten, die sich in strafbarer Weise gegen diese Güter vergingen", argumentierte Fränkel. Zumal gegen Täter, welche "die Zwangs- und Notlage unseres Volkes (. . .) skrupellos ausbeuteten, während der rechtstreue Teil der Bevölkerung gleichzeitig im Kampf oder im Heimateinsatz stündlich sein Leben opferte (. . .)".

Bei der Tagung in Karlsruhe wurden aber auch andere Verbindungslinien deutlich. Die wichtigste davon war sicherlich die Kommunistenverfolgung - Safferling nennt sie das "Bindemittel" der deutschen Juristen. "Die Kontinuität zur NS-Zeit ist hier unübersehbar." Das begann bereits in der Weimarer Republik, wie die Münchner Professorin Kathrin Groh schilderte. Gegen die paramilitärische SA sei der Staatsschutz der Weimarer Zeit wirkungslos geblieben, auch in der NSDAP habe man keine Putschabsichten entdeckt. Ganz anders bei den Kommunisten, die mit Hochverratsprozessen überzogen worden seien. Der Staatsschutz sei ein Element der Kommunistenbekämpfung gewesen. Bei den Nationalsozialisten waren es vor allem die Sondergerichte, die mit Tausenden Todesurteilen gegen Menschen vorgingen, die sie als politische Gegner identifizieren.

Die "Spiegel"-Affäre markiert einen fundamentalen Wandel im Staatsverständnis

Die Bekämpfung der KPD nahm schon in den frühen Fünfzigerjahren Fahrt auf. Beim Bundesverfassungsgericht wurde ihr Verbot betrieben, derweil konzentrierten sich die Ermittler auf die FDJ, den kommunistischen Jugendverband, 1951 wegen enger Verbindungen zur SED durch die Bundesregierung verboten. In rechtsstaatlicher Hinsicht ging man dabei eher hemdsärmelig zu Werke, wie Safferling am Beispiel der Verhaftung zweier FDJ-Funktionäre im Jahr 1953 schildert. Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) hatte 1953 der Bundesanwaltschaft telegrafisch die Festnahme eines für Kaderfragen zuständigen FDJ-lers in Köln dringend nahegelegt. Ermittlungsergebnisse legten die Verfassungsschützer dem nachfragenden Bundesanwalt nicht vor - die seien beim BfV vorhanden. Die Bundesanwaltschaft ließ den Mann festnehmen und den Mitbewohner gleich dazu. Ihre Aktivitäten seien auf die Durchführung strafbarer Handlungen gerichtet, "insbesondere Mal- und Klebeaktionen, verbotene Demonstrationen und die Herausgabe illegalen Schrifttums, in welchen die Bundesregierung und ihre Mitglieder laufend verunglimpft werden". Beide wurden zu Haftstrafen verurteilt.

Dass Aktionen, die man heute unter grundrechtlicher Freiheit verbuchen würde, seinerzeit über den Staatsschutz kriminalisiert wurden, trat nirgends deutlicher zutage als in der Spiegel-Affäre. Der Spiegel-Titel "Bedingt abwehrbereit", die Razzia unter dem Vorwurf des Landesverrats, die Verhaftung von Rudolf Augstein, Conrad Ahlers und weiterer Redakteure: Für den Historiker Friedrich Kießling markieren diese Ereignisse des Jahres 1962 einen fundamentalen Wandel im Staatsverständnis. Nach traditionellem Verständnis war der Staat ein idealisiertes, gleichsam außerhalb der Gesellschaft existierendes Gebilde, so eine Art imaginäres deutsches Reich, das über die Systeme und Verfassungen hinweg existierte. Diesen Etatismus brachten die Funktionseliten in die Bundesrepublik mit - womit "Staatsschutz" eine Verteidigung dieses überzeitlichen Staates gegen seine Feinde war. Also gegen Kommunisten, oder eben gegen eine liberale Presse. In diesem Denken spiele es keine Rolle, ob es um Spione oder Journalisten gehe - "Landesverrat ist Landesverrat". Kießling sieht darin den Kern der Spiegel-Affäre: "Ich erkenne hier das Beharren der Bundesanwaltschaft auf einem etatistischen Staatsverständnis." Gewonnen hat am Ende aber ein neuer Gedanke - er wurde damals in einer Stellungnahme an die Bundesanwaltschaft formuliert. Landesverrat werde heute nicht mehr primär nationalstaatlich gedacht, heißt es dort. Schutzgut sei nicht mehr der Staat um seiner selbst willen, "sondern der Staat als Mittler und Schützer der Freiheit". Geschrieben hat das der SPD-Politiker Adolf Arndt. Ein Bundesanwalt hat zwei dicke Fragezeichen an den Rand gemalt.

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SZ vom 04.07.2019
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