Süddeutsche Zeitung

Bulgarien:Weiter Hoffnung auf den Wandel

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Die neue Partei zweier Ex-Minister, die sich dem Kampf gegen Korruption verschrieben hat, gewinnt die Parlamentswahl. Ob es ihr gelingt, eine funktionierende Regierungskoalition zu bilden, ist offen.

Von Cathrin Kahlweit, Wien

Schon am Sonntagabend, lange bevor das Endergebnis der mittlerweile dritten Parlamentswahl in Bulgarien in diesem Jahr verkündet worden war, gab es drei eindeutige Sieger. Einer davon, der amtierende Präsident Rumen Radew, hat mit etwa 49 Prozent der Stimmen nur ganz knapp eine Mehrheit im ersten Wahlgang verfehlt; dass er in der zweiten Runde erneut zum Staatschef gekürt wird, bezweifelt in Bulgarien kaum jemand.

Die beiden anderen Sieger hingegen heißen Assen Wassilew und Kiril Petkow; sie waren Finanzminister und Wirtschaftsminister in der seit einem halben Jahr amtierenden Expertenregierung gewesen, die Radew deshalb einsetzen musste, weil sich weder nach der Wahl im April noch nach der Wahl im Juli eine regierungsfähige Koalition zusammengefunden hatte. Die beiden Männer gründeten im Spätsommer eine neue Partei und nannten sie "Wir setzen den Wandel fort" (PP); bei der Wahl am vergangenen Sonntag war diese also gerade mal zwei Monate alt. PP holte - aus dem Stand - die meisten Stimmen und knapp 26 Prozentpunkte.

Der Wandel, den die beiden Neo-Parteichefs fortsetzen wollen und auf den die PP auch, sehr optimistisch, in ihrem Namen verweist, bezieht sich dabei auf die wenigen, vorsichtigen Reformschritte und das Mindestmaß an Transparenz, das sich diese Expertenregierung auf die Fahnen geschrieben hatte. Wassilew und Petkow hatten diese Regierung im Sommer verlassen, um mit einer eigenen Gruppierung in die dritte Wahl 2021 zu ziehen.

In monatelangen Demonstrationen im ganzen Land waren im Sommer 2020 Zehntausende Bulgaren gegen die damals noch amtierende Regierung der konservativen Gerb unter Langzeit-Ministerpräsident Bojko Borissow und seine Koalition mit der Partei der türkischen Minderheit (DPS) auf die Straße gegangen und hatten ein Ende der endemischen Korruption und die Entmachtung zahlreicher Oligarchen gefordert, die den Staat mithilfe der Regierungsparteien systematisch ausgesaugt hatten. Nun müssen die beiden Überraschungssieger versuchen, eine Koalition mit den anderen Reformparteien zu bilden, die es ins Parlament geschafft haben.

Die neue Regierung soll auf "Kompromissen basieren, nicht auf Korruption"

Co-Parteichef Kiril Petkow, Ökonom mit zwei Studienabschlüssen aus Vancouver und Harvard, hatte nach dem großen Wahlerfolg angekündigt, es sei ihm bewusst, dass Bulgarien dringend eine neue Regierung brauche. Diese werde auf "Kompromissen basieren, nicht auf Korruption". Für die neue Politik müsse man nun erst einmal die passenden Politiker und Experten finden, um diese umsetzen.

Hoffnungen auf eine Regierungsbeteiligung macht sich Ja Bulgarien (Da Bulgaria), die einen Teil ihrer Proteststimmen aus den vergangenen Wahlen diesmal an die PP abgeben musste. Ihr Parteichef Christo Iwanow hatte die Demonstrationen im vergangenen Jahr ausgelöst: Er war mit einem Boot an einen abgesperrten Bereich an der Schwarzmeerküste gefahren und hatte dort einen Uferstreifen betreten, der eigentlich öffentlich zugänglich sein sollte. Sicherheitskräfte eines Oligarchen, der gleich nebenan eine riesige Villa gebaut hatte, vertrieben ihn jedoch. Iwanow filmte das; das Video wurde Tausende Male geteilt und war die Initialzündung für den Ruf nach Veränderung. Daraus entstand im vergangenen Jahr auch die Partei "Mafia weg", die am Sonntag aber nicht die Fünfprozentmarke knackte.

Als weiterer Koalitionspartner für die PP stünden die Sozialisten (BSP) zur Verfügung, die in Bulgarien allerdings einen eher nationalistischen und populistischen Kurs fahren. Und, wenngleich eine solche Zusammenarbeit unwahrscheinlich ist, auch der Sieger der beiden vergangenen Urnengänge, der Entertainer und Moderator Slawi Trifonow mit seiner Partei "Es gibt so ein Volk" (ITN). Er war der Star der ersten zwei Wahlen in diesem Jahr gewesen, konnte aber seine letzten zwei Erfolge nicht wiederholen. Viele Bulgaren hatten den politisch unerfahrenen und im Wahlkampf kaum persönlich auftretenden Sänger gewählt, weil er einen beinharten Kampf gegen Korruption und Mafiaherrschaft verkündet hatte und wissen ließ, er werde mit den im April abgewählten Regierungsparteien, der konservativen Gerb und der Partei der türkischen Minderheit, DPS, keinesfalls zusammenarbeiten.

Allerdings mochte Trifonow auch mit anderen Parteien, die aus den Protesten des Sommers 2020 hervorgegangen waren, keine echte Partnerschaft eingehen; die Koalitionsverhandlungen gerieten zur Farce und scheiterten. Nun bekam Hoffnungsträger Trifonow die Quittung: Er landete, wie die Sozialisten, bei etwa zehn Prozent; im Juli war ITN noch stärkste Kraft geworden. Wenn er eine Zeitmaschine hätte, so Trifonow am Sonntagabend, würde er wieder so handeln und Bedingungen für eine Zusammenarbeit stellen, die andere Parteien als unakzeptabel angesehen hatten. ITN fordert nun, die nächsten Koalitionsverhandlungen öffentlich zu führen. Bojko Borissow, der im Frühjahr abgewählte Ministerpräsident, war mit Gerb auf 22 Prozentpunkte gekommen. Er hatte sich geweigert, die Führung der Partei abzugeben, obwohl niemand mit Gerb koalieren will und Borissow selbst von der Bevölkerung als besonders korrupt angesehen wird.

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