Süddeutsche Zeitung

Bürgergeld:Mehr Geld, weniger Strafen

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Bürgergeld statt Hartz IV: Arbeitsminister Heil will das Sozialsystem unbürokratischer und großzügiger machen. Über die Höhe der Leistungen streitet die Koalition aber noch.

Von Roland Preuß, Berlin

Man kann hören, wie sehr Hubertus Heil den Abschied von diesem System will. "Zum 1. Januar 2023 ist das Hartz-IV-System überwunden", sagt der Arbeitsminister von der SPD gleich zu Beginn der Vorstellung seiner Bürgergeldpläne am Mittwoch in Berlin. Heil hatte einst eindringlich miterlebt, wie die Hartz-Reformen des damaligen Kanzlers Gerhard Schröder seine Partei trotz der Erfolge am Arbeitsmarkt spalteten, wie den Sozialdemokraten danach der Ruf sozialer Kälte anhing, wie Hartz verantwortlich gemacht wurde für den Aufstieg der Linkspartei auf Kosten der SPD. Kein Jahr, nachdem die Hartz-Reformen griffen, wurde Hubertus Heil SPD-Generalsekretär und musste die schmerzhaften Debatten danach führen.

Nun bietet sich ausgerechnet ihm als zuständigem Minister die Möglichkeit, Hartz IV abzuräumen. Das System soll einen neuen Namen bekommen, Bürgergeld, und weitgehend neue Regeln. "Wir werden das System bürgerfreundlicher gestalten, unbürokratischer und großzügiger", sagt Heil. Das einstige Motto vom "Fördern und Fordern" kommt ihm dabei nicht mehr über die Lippen. Heil spricht nur noch von "Mitwirkungspflichten".

Der heikelste Punkt für die Koalition dürfte die Anhebung der Leistungen im Bürgergeld sein, Heil will den Empfängern etwa zehn Prozent mehr Geld geben, 40 bis 50 Euro wären das für einen Alleinstehenden, der bisher 449 Euro im Monat erhält. Von einer solchen Anhebung jedoch steht nichts im Koalitionsvertrag, sie sei aber auch nicht ausgeschlossen, argumentiert Heil. "40 bis 50 Euro, das wird nicht reichen", sagte Frank Bsirske, der Sprecher für Arbeit und Soziales der Grünen-Bundestagsfraktion der Süddeutschen Zeitung. Bsirske hält eher das Doppelte für angemessen.

Die Größe der Wohnung soll zwei Jahre lang keine Rolle mehr spielen

Bei der FDP sieht man das ganz anders. "Zum 1. Januar wird der Regelsatz ohnehin kräftig steigen, und das ist auch richtig so. Die jährliche Regelsatzanpassung bezieht die Inflation ohnehin fast vollständig ein", sagt Johannes Vogel, Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion der SZ. Eine Erhöhung darüber hinaus lehnt er ab.

Bei anderen Punkten stehen weniger Koalitionskonflikte ins Haus: So soll die Größe der Wohnung zwei Jahre lang keine Rolle mehr spielen, das heißt ein Umzug ist nicht mehr verpflichtend. Diese Lockerung war bereits für die Corona-Zeit eingeführt worden, nun soll sie dauerhaft gelten. Die Menschen sollten sich auf die Arbeitssuche oder Weiterbildung konzentrieren können, sagt Heil. Möglicherweise vorhandenes Vermögen bis 60 000 Euro soll in den ersten beiden Jahren im Bürgergeld nicht angetastet werden müssen. Ein Eigenheim oder eine Eigentumswohnung sollen die Jobcenter künftig großzügiger beurteilen, ein eigenes Auto darf behalten werden.

Bsirske unterstützt diese Neurungen, Hartz-IV-Bezieher hätten es ohnehin schwer, eine Wohnung zu finden. "Es ist sinnvoll beim Vermögen auf diese Prüfungen zu verzichten - und auch beim Auto", sagt Bsirske. Der Schritt sei richtig, sagt auch Johannes Vogel, "das ist ein Aspekt der Entbürokratisierung und der Vereinfachung". Die FDP sieht darin aber auch eine Belohnung der Eigenverantwortung, etwa, wenn jemand für das Alter vorgesorgt hat. Dies dürfe nicht bestraft werden, indem er verpflichtet werde, dieses Vermögen aufzubrauchen, argumentiert Vogel.

Beim Reizthema Sanktionen versucht Heil einen Kompromiss

Schüler, Studierende und Auszubildende aus Hartz-IV-Familien sollen künftig mehr von ihren Einkünften behalten dürfen, nämlich bis zu 520 Euro im Monat. Bisher wurde ein Großteil des Verdienstes über die Hartz-IV-Leistungen wieder abgezogen. Dafür hatte die FDP jahrelang geworben. "Dass schon bei der fundamentalen Erfahrung des ersten selbst verdienten Geldes junge Menschen in dieser Gesellschaft nicht den Eindruck bekommen, dass sie schlechtere Chancen haben als ihre Freundinnen und Freunde, deren Eltern nicht auf Hartz IV angewiesen sind, ist eine elementare Frage der Chancengerechtigkeit", sagt Vogel. Und es sei eine Frage der Leistungsgerechtigkeit und der Fairness, das endlich zu korrigieren.

Das Reizthema Sanktionen gegen Hartz-IV-Bezieher versucht Heil mit einem Kompromiss aufzulösen. In den ersten sechs Monaten soll eine sogenannte Vertrauenszeit gelten, in der Bezieher von Bürgergeld grundsätzlich nicht für Versäumnisse bestraft werden, etwa, wenn sie eine vereinbarte Fortbildung nicht machen. Strafen sollen dennoch möglich bleiben, wenn sie mehrmals Termine beim Jobcenter verpassen, sagt Heil. Derzeit gilt ein sogenanntes Sanktionsmoratorium, währenddessen können die Jobcenter höchstens zehn Prozent der Hilfe kürzen. Vom kommenden Juli an sollen dann wieder 30 Prozent möglich sein, so hat es die rot-grün-gelbe Koalition bereits vereinbart.

Die Grünen verstanden die Vertrauenszeit allerdings immer als eine Phase, in der es gar keine Sanktionen geben soll. Darauf pochte Bsirske auch am Mittwoch. Bei der FDP dagegen will man an der Möglichkeit für Sanktionen auch zu Beginn festhalten. Heil plant nun zumindest kleinere Sanktionen von Anfang an zu ermöglichen.

Übereinstimmung zeichnet sich hingegen ab beim Thema Fortbildung: Menschen im Bürgergeld sollen nicht mehr vorrangig in einen Job vermittelt werden - oft sind dies Hilfsjobs. Stattdessen sollen sie die Chance auf eine Aus- oder Weiterbildung bekommen. Jobcenter und Bürgergeld-Bezieher sollen auf Augenhöhe einen "Kooperationsplan" vereinbaren, der festhält, was beide Seiten tun wollen, um den Unterstützten wieder in Arbeit zu bekommen. "Wir stärken den Menschen den Rücken, damit sie aus dem System herauskommen", sagt Heil.

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