Süddeutsche Zeitung

Großbritannien:Eine Brexit-Verschiebung ist fast unausweichlich

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Von Cathrin Kahlweit, London

Die britische Regierung geht davon aus, dass sie auch die zweite Abstimmung über das EU-Austrittsabkommen verlieren wird, die für kommenden Dienstag im Parlament angesetzt ist. Damit wird der 29. März, der als Datum für den Brexit festgelegt ist, nicht zu halten sein; eine Verschiebung des Austritts Großbritanniens aus der EU wird immer wahrscheinlicher. Schon beim ersten Votum im Januar hatte die Regierung eine krachende Niederlage eingesteckt; diesmal rechnet Premierministerin Theresa May mit etwa hundert Gegenstimmen aus dem eigenen Lager.

Da die Verhandlungen zwischen London und Brüssel über Änderungen an der Auffanglösung für Nordirland vor dem Scheitern stehen, dürften sich alle Kritiker der sogenannten Backstop-Lösung, die London zeitlich befristen will, nicht zu einer Zustimmung durchringen. Die Regierung hatte, weil sich die Niederlage abzeichnet, für kommende Woche zwei weitere Voten im Unterhaus angesetzt: Am Mittwoch sollen die Abgeordneten darüber abstimmen, ob die Regierung auch einen vertragslosen Austritt, einen No Deal, ansteuern darf; es wird damit gerechnet, dass das Parlament dies ablehnt. Am Donnerstag sollen die Abgeordneten dann bestimmen können, ob der Brexit verschoben wird. Über die Länge dieser Verschiebung gibt es derzeit keine Einigkeit.

Finanzminister Philip Hammond hatte am Donnerstagmorgen in der BBC die Befürchtung verstärkt, dass die Verhandlungen scheitern. Er drohte, wenn Mays Deal keine Mehrheit finde, sei es "sehr wahrscheinlich, dass das Unterhaus den Austritt verschieben wird". Es sei völlig unklar, wie es danach weitergehe. Auch die französische Ministerin für europäische Angelegenheiten, Nathalie Loiseau, die sich zu Gesprächen in London aufhält, warnte vor einem Scheitern. "Wir wissen immer noch nicht, was ihr wollt", sagte sie. Die britische Seite habe in Brüssel keine neuen Vorschläge vorgelegt.

Die britische Seite dementierte das. Offenbar hatte London vorgeschlagen, dass ein Schiedsgericht, das den Streit zwischen der EU und dem Königreich nach dem Brexit schlichten soll, auch über ein Ende des Backstops urteilen könne. Brüssel hat das abgelehnt; dafür sei ein Gremium von Juristen, das hinter geschlossenen Türen tage, nicht geeignet. Die EU hat den Briten nun bis zu diesem Freitagabend gegeben, um neue Ideen zu präsentieren.

Derweil hat Oppositionschef Jeremy Corbyn sich am Donnerstag mit Tory-Abgeordneten getroffen, die für einen weichen Brexit oder auch für einen Verbleib in der Europäischen Union sind. Labour will eine parteiübergreifende Mehrheit für eine permanente Zollunion erwirken; diese könnte, hofft die Linke, nach dem Scheitern von Mays Plan zustande kommen. In jedem Fall ist die völlig unklare Situation, in der jede Variante - von einem Deal in letzter Minute über eine kurze oder längere Verschiebung des Austritts, mögliche Neuwahlen oder aber ein zweites Brexit-Referendum - vorstellbar ist, eine große Belastung für Wirtschaft und Gesellschaft. Wirtschaftsverbände haben kürzlich erneut vor einem No Deal gewarnt. Aber auch der ist, am Ende einer Verlängerungsphase, immer noch möglich.

Korrektur: In einer früheren Version dieses Artikels haben wir die französische Ministerin für europäische Angelegenheiten, Nathalie Loiseau, fälschlicherweise als Außenministerin bezeichnet. Französischer Außenminister ist jedoch Jean-Yves Le Drian; die Ministerin für europäische Angelegenheiten ist als "Ministres auprès d'un ministre" (Ministerin zu einem Minister) dem Außen- und Europaministerium angegliedert.

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SZ vom 08.03.2019
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